Tabak als Schamanenpflanze

von Christian Rätsch

„Der Tabakrauch steigt auf wie der Atem der Regenbogenschlange...“
Mitsogho-Text

Tabak ist im indianischen Amerika die wichtigste Pflanze der Schamanen – von Alaska bis Feuerland. Der Tabak ist von Indianern kultiviert worden. Er gilt in allen indianischen Kulturen als eine heilige Pflanze, als „Große Medizin“, als eine Pflanze der Götter. Tabak wird nicht nur als Genußmittel geschätzt, sondern vor allem als Heilmittel, Zauberpflanze, Räucherstoff. Tabak wird nicht nur geraucht, sondern auch gekaut, geschluckt, getrunken, geschnupft, aufgerieben oder als Klistier appliziert. Tabak gilt als ein Geschenk der Götter oder als eine Manifestation des Großen Geistes. „Uns ist ‚Tabak‘ nicht nur ein Wort, sondern ein köstliches Geschenk, das Mutter Erde reichlich und dauernd beschert.“ (Reckert 1942: 15) Für die Indianer ist der Tabak ein Geschenk, weil er für sie so viele wohltuende Eigenschaften besitzt. Er ist ein schamanisches Ritualmittel, ein Soziogen1, ein Genußmittel, ein Begleiter der Menschen, eine Jagddroge, ein allgemeines Heilmittel, ein Insektenschutzmittel, ein universelles Gegengift. In Südamerika heißt es, der Tabak ist das „schamanische Gemüse Nr. 1“. Oder der „König der Gemüse“.

Überall in Nord-, Mittel- und Südamerika gibt es wilde Tabakarten (Nicotiana spp., Solanaceae, Cestroideae, Tribus Nicotianeae). Aus ihnen wurden von den Indianern Mexikos oder Perus durch Kreuzungen die beiden kultivierten Arten Nicotiana tabacum (Echter Tabak, Virginia-Tabak) und Nicotiana rustica (Bauerntabak, Veilchentabak, Peruanisches Bilsenkraut) gezüchtet. Die erste Art, Nicotiana tabacum, ist möglicherweise – so vermuten die Botaniker – aus den südamerikanischen Arten Nicotiana alata und Nicotiana forgetiana gekreuzt worden. Woraus der Bauerntabak gezüchtet wurde ist unbekannt. Es ist auch unbekannt, wann die beiden Kulturarten entstanden sind; sicherlich vor Jahrtausenden. Die Kulturtabake haben sich jedenfalls in präkolumbianischer Zeit rasant in alle Gebiete Amerikas verbreitet. Die schnelle und weite Verbreitung der Tabake deutet daraufhin, daß es sich um sehr erfolgreiche Kultigene des Menschen handelt. Keine andere Kulturpflanze Amerikas hat sich so weit verbreitet und eine derart hohe kulturelle und ökonomische Bedeutung gewonnen.

Bei den indianischen Tabaken ist vor allem die hohe Konzentration an Nikotin auffällig. Besonders die Tabakpflanzen, die in den Gärten der Schamanen wachsen, zeigen Spitzenwerte. Bis zu 16% Nikotin konnte festgestellt werden. In unseren Zigarettentabaken sind nur 1% Nikotin enthalten.

Mir haben südamerikanische Schamanen immer wieder gesagt, daß der Pflanzengeist des Tabaks in ihren eigenen Pflanzen, also den an Nikotin hochkonzentrierten, besonders stark sei. Es scheint geradewegs so, als werde die Kraft des Pflanzengeistes an der Konzentration von Nikotin gemessen! Schamanen nehmen oft soviel Nikotin auf, daß die Dosis einen gewöhnlich Sterblichen töten könnte.

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1 Ein Soziogen (nov. nom.) ist eine psychoaktive Substanz, die aufgrund der rituellen Verwendung soziale Strukturen erzeugt, bindet, festigt, besiegelt. Soziales generiert.

Literaturverzeichnis
Rätsch, Christian, 2002 Schamanenpflanze Tabak. Band 1: Kultur und Geschichte des Tabaks in der Neuen Welt, Solothurn: Nachtschatten Verlag.
Rätsch, Christian, 2003 Schamanenpflanze Tabak. Band 2: Ein Kraut erobert die Alte Welt, Solothurn: Nachtschatten Verlag.
Reckert, F. K., 1942 Tabak – Tabakwaren – Tabakhandel (2., neubearbeitete und erweiterte Auflage), Berlin-Schöneberg: Max Schwabe Verlag.

Verfasser: www.christian-raetsch.de

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Naturheilpraxis 02/2008