60 Jahre Naturheilpraxis

Berufspolitisches Referat des Vorsitzenden des LV Bayern, Gerhard Glas, anläßlich der 30. Tagung für Naturheilkunde im November 1983

Um ein Stimmungsbild aus dem berufsständischen Bereich wiederzugeben und in Erinnerung zu rufen, sei diese Eröffnungsrede aus 1983 wiedergegeben. Die Münchner Tagungen für Naturheilkunde im Herbst waren stets – und sie sind es noch heute – Fachtagungen, die auf die politische Wirkung nicht verzichten wollten und stets auch ein stattliches Aufgebot an politischer Prominenz aufbieten konnten. Es soll nicht unerwähnt bleiben, dass die Frage einer staatlich geregelten Ausbildung von der großen Mehrheit kritisch gesehen wurde, weil man bei Reformen, die die Rechtssystematik des HPG ändern würden, um den Bestand des Gesetzes überhaupt bangte. Das politische Statement zeigt aber deutlich, welche tiefgreifende Auswirkung das Votum des Bundesgesundheitsrates, die Heilpraktiker aussterben zu lassen, auf den Berufsstand hatte und wie man versuchte „alle Geschütze in Stellung zu bringen“.

Die Rede:

Verehrter Herr Landtagspräsident, verehrte Ehrengäste, meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere traditionellen Herbsttagungen für Naturheilkunde dienen der fachlichen Weiterbildung. Aber es gehört inzwischen zur guten Tradition, daß von dieser Stelle aus auch berufspolitische Zeichen gesetzt werden. Dazu ist in diesem Jahr ganz besonderer Anlaß. Der Fortbestand unseres alten, ehrwürdigen Berufs des Heilpraktikers ist nämlich in Gefahr wie lange nicht mehr. Als unser Schirmherr haben Sie, verehrter Herr Dr. Heubl, uns in diesem Forum immer wieder gegen unsachliche Kritik in Schutz genommen und die menschlichen Aspekte unserer Absichten und unserer Arbeit hervorgehoben und gewürdigt. Sie haben aber uns Heilpraktiker stets auch deutliche Warnsignale gesetzt. Diese Signale sind von uns nicht immer richtig und nicht immer rechtzeitig verstanden worden. Ich möchte da nur an Ihre Ansprache vor zwei Jahren erinnern, als Sie über die Heilpraktiker-Ausbildung feststellten: „Ich bitte Sie geradezu, daß Sie eine breite Diskussion um die Unterschiedlichkeit Ihrer Ausbildung führen. Sie muß solide, seriös sein, sie gehört staatlich geregelt. Ich sehe in der Beschäftigung mit diesem Problem – und ich verwende dieses Wort ganz bewußt – eine Aufgabe Ihres Berufsverbandes. Es geht wirklich um eine Frage, die Ihr Ansehen, den Patienten und die Öffentlichkeit im ganz erheblichem Maße berührt.“ Das war der weise Rat eines bayerischen Politikers – sowohl an die Adresse des Gesetzgebers als auch an uns Heilpraktiker.

Aber Sie wissen selbst, wieviel Wasser erst die Isar hinunterfließen muß, bevor ein Signal aus Bayern am Rhein nicht nur gehört, sondern auch richtig gewertet wird.

Ich knüpfe hier an Ihre damaligen Forderungen an, denn, wenn es nach dem letzten Votum des Bundesgesundheitsrates ginge, dann soll es in absehbarer Zeit keinen Heilpraktiker-Nachwuchs und folglich auch keine Ausbildung mehr geben.

Wir sehen uns mit einer gespenstischen Situation konfrontiert: Weil der Bundesgesundheitsrat das Heilpraktikergesetz von 1939 als “nicht mehr zeitgemäße Regelung“ ansieht, rät dieses Gremium dem Gesetzgeber, sich genauso zu verhalten wie die Nazis damals – nämlich „bei Besitzstandswahrung der derzeit tätigen Heilpraktiker“ die Ausübung der Heilkunde den Ärzten vorzubehalten.

Meine Damen und Herren, ein direktes Berufsverbot für die damals praktizierenden Heilpraktiker mochten nicht einmal die Diktatoren erlassen, sondern nur eines für spätere Bewerber. Das erwies sich dann allerdings in der Bundesrepublik, einem freiheitlich demokratischen Rechtsstaat, als nicht vereinbar mit dem Grundgesetz.

Und jetzt soll es in Ordnung sein, daß mit haargenau denselben Motiven, mit denen die Nazis das Heilpraktikergesetz erließen, dieses Gesetz wieder abgeschafft werden soll.

Meine Damen und Herren, verstehen sie mich richtig: Ich unterstelle den Mitgliedern des Bundesgesundheitsrates keineswegs einen Rückfall in braune Gesinnung. Aber ich vermute, daß sich niemand in diesem Gremium der Mühe unterzogen hat, die Entstehungsgeschichte des Heilpraktikerrechts zu studieren. Und wer aus der Geschichte nicht lernen will, der verfällt halt immer wieder in die alten Fehler.

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Naturheilpraxis 11/2007