60 Jahre Naturheilpraxis

Die NATURHEILPRAXIS hat sich vom Tag ihrer Gründung an als eine konsequent für die Naturheilkunde kämpfende Fachzeitschrift der deutschen Heilpraktiker verstanden. Die sechzig Jahrgänge, die heute vorliegen, haben den Neubeginn nach dem Krieg und die Weiterentwicklung der Naturheilkunde und der Heilpraktiker von Anfang an fachlich, unterstützend und kritisch begleitet.

Die NATURHEILPRAXIS hatte den Vorteil, daß sie eine Neugründung nach dem Krieg war und ihre Aufgabe deshalb besonders unvoreingenommen erfüllen konnte. Sie mußte keine Konfrontationen mit eventuellen nationalsozialistisch-systemtreuen Zitaten aus der eigenen Vergangenheit fürchten, vor denen so mancher nach dem Krieg einen roten Kopf bekam, wenn er ihn denn nicht überhaupt von vornherein schon eingezogen hatte. Für eine Zeitschrift „mit Vergangenheit“ wäre dies ein schwerer Stand gewesen und hätte bedeutet, daß eine freie – und Kreativität braucht Freiheit – Meinungsäußerung durch allerlei Rücksichtnahmen oder allzu stromlinienförmige Berichterstattung sozusagen mit der „Schere im Kopf“ doch stark eingeschränkt gewesen wäre. Denn die Naturheilkunde, wenn auch nicht die der Heilpraktiker, war ja von den Nationalsozialisten auserkoren, maßgeschneidert für den reinrassig-arisch-naturrobusten Germanen als „Neue Deutsche Heilkunde“ in die offizielle Staatsmedizin verwurschtelt zu werden. Und so mancher Arzt, der an prominenter Stelle die Naturheilkunde mit der Ideologie von Blut und Boden vermischt und tüchtig in der braunen Soße mit herumgerührt hatte, kam nach dem Krieg bei seinen Bemühungen um die Naturheilkunde in Erklärungsnotstand und war deshalb nicht unbedingt als Förderer der reinen Lehre der Naturheilkunde prädestiniert.

Die NATURHEILPRAXIS gibt zweifelsfrei Auskunft darüber, daß es die Heilpraktiker waren, die nach dem Krieg im Sich-selbst-Wiederfinden die Naturheilkunde am Leben erhalten haben, indem sie sie, unbesehen ihrer wissenschaftlichen Beweisbarkeit, lege artis, also nach den (eigenen) Regeln der Kunst, anwandten, diskutierten und weiterentwickelten. NATURHEILPRAXIS als Forum und Medium übernahm sozusagen von Beginn an die Aufgabe der Dokumentation.

So liegt in den 60 Jahrgängen der NATURHEILPRAXIS eine lückenlose Dokumentation über die Entwicklung der Naturheilkunde nach dem Krieg vor, und natürlich auch über den Berufsstand der Heilpraktiker, der sich in den fünfziger Jahren mit der Aufhebung der von den Nationalsozialisten verhängten Ausbildungssperre von den Fesseln seines Aussterbens befreien konnte und somit am Beginn einer äußerst erfolgreichen Entwicklung als eines neben dem Arzt zweiten freien Heilberufs stand.

So sind die Inhalte unserer Fachzeitschrift geprägt von der Bestandsaufnahme naturheilkundlicher Diagnose und Therapieformen, die dem Praktiker zur Verfügung standen, aber auch von erstaunlich starken Bemühungen um die geistige Durchdringung der Denkmodelle und Arbeitshypothesen. Die sechzig Jahrgänge der NATURHEILPRAXIS sind somit sicher eines der umfangreichsten und vielfältigsten Naturheilkundelehrbücher, die je geschrieben wurden. Wir möchten deshalb in unseren folgenden Jubiläumsseiten auch auf die Wiedergabe zweier historischer Fachbeiträge setzen.

Nicht zuletzt auch durch die Personalunion der Chefredakteure unserer Zeitschrift und führender Funktionäre der Heilpraktikerschaft war die NATURHEILPRAXIS auch stets das Sprachrohr des Berufsstandes. Von Anfang an sind die berufspolitischen Entwicklungen dokumentiert, und von Anfang an gab es Auseinandersetzungen um den besten Weg der Heilpraktiker für die Zukunft. Die „Alten“, die noch den Staat und staatliches Diktat schmerzlich nachempfanden, wußten die Freiheit des vom Ausbildungsverbot befreiten HPG zu schätzen und verstanden seine Rechtssystematik folgerichtig auch als eine, die überhaupt die Existenz eines neben den Ärzten freien Heilberufs ermöglichte. Aber immer wieder gab es mißverständlich den Ruf nach dem Staat, nach der Sicherheit eines staatlichen Siegels, ohne zu bedenken, daß sich bei der Neuetablierung eines Heilberufs die Frage nach dessen Notwendigkeit und Bedarf stellen würde, deren Beantwortung angesichts auch einer damals ausreichenden ärztlichen Ausstattung negativ ausgegangen wäre und heute erst recht ausgehen würde. Es ist hochinteressant – und in der NATURHEILPRAXIS lückenlos dokumentiert –, daß dieser Streit bis auf den heutigen Tag mit jedem neuen Funktionär, der die Geschichte nicht zur Kenntnis nimmt und nicht weiß, daß dieses Thema an sich ausdiskutiert wurde, leicht neu entfacht werden kann.

So soll neben dem historischen phytotherapeutischen Fachbeitrag von Hans Funke aus dem Jahre 1986 auch eine politische Rede aus dem “schicksalsträchtigen” Jahr 1983 stehen, als der Bundesgesundheitsrat mit seinem Votum gegen die Heilpraktiker für helle Aufregung sorgte.

Vor 10 Jahren, zu unserem 50. Jubiläum, hatten wir ja einen recht ausführlichen Einblick in die Historie unserer Fachzeitschrift gegeben. Inzwischen wird das Archiv sukzessive elektronisch erarbeitet, um diesen reichen naturheilkundlichen Schatz unseren Lesern auf unserer Homepage zur Verfügung zu stellen.

60 Jahre sind eine Station einmal kurz innezuhalten und zurückzudenken, nicht aber auszuharren in Vergangenheitsverherrlichung und sozialromantischer Rückwärtsgerichtetheit, sondern daraus Kraft zu schöpfen für die Aufgaben der Zukunft.

Wir möchten mit unserer Naturheilpraxis weiterhin Zeitzeuge sein der Entwicklung der Naturheilkunde im fachlichen Bereich und auch in unserem gesellschaftlichen Umfeld.

Wir möchten unserer treuen Leserschaft danken, dass sie unserer Fachzeitschrift ermöglicht hat, ein solch stolzes Jubiläum begehen zu können.

- Red. -



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Naturheilpraxis 11/2007