KRITISCHE BETRACHTUNG

Was heißt hier “bio”? - Die Krankheit aus der Biotonne

Von Gabriele Baier-Jagodzinski

Das Übel gedeiht nie besser, als wenn ein Ideal davorsteht.
Karl Kraus (1874 – 1936)

Im Jahre 2000 meldete sich der Düsseldorfer Allergologe und Umweltmediziner Martin Schata im “Spiegel” (Nr. 14) zu Wort: “Die Biotonne ist eine medizinische Katastrophe”. In mehreren Feldstudien hatte er verschiedene Biotonnen mit Küchenabfällen befüllt und die mikrobiologische Aktivität untersucht. Er fand bis zu einer Million Pilzsporen pro Kubikmeter Luft, das ist das 20.000fache einer durchschnittlichen Sporenbelastung im Freien. Beim Öffnen der Biotonne entsteht jedes Mal ein Unterdruck, der die Sporen gewissermaßen heraussaugt, so dass mit einem einzigen Atemzug die sonst über das Jahr aufgenommene Menge an Sporen inhaliert wird.

Im gleichen Jahr veröffentlichte der Mikrobiologe Dick Heederick und seine Arbeitsgruppe von der Universität Wageningen/NL eine Studie, zu der sie Staubproben aus 99 Haushalten nach Bakterien- und Schimmelpilzspuren untersuchten. In Wohnungen, in denen im kleinen Eimer organischer Abfall mehrere Tage zwischenlagerte, war die Konzentration bakterieller Endotoxine dreimal höher als in Haushalten, in denen Biomüll mit anderem Müll vermischt wurde. Schimmelpilzsporen fanden sich in den Biomüll-Wohnungen in bis zu acht mal höherer Konzentration. Und waren die Wohnungen mit Teppichboden ausgelegt, erhöhte sich die Endotoxin- und Sporenmenge bis auf das 800fache. Die Folgen seien allergische Reaktionen, Asthma, Neurodermitis, grippeähnliche Symptome, Schleimhautverdickungen der Nebenhöhlen, Infektionen der Lungen bis zur Lungenfibrose bei Leukämiepatienten oder Patienten mit schwerem Asthma, COPD, in Extremfällen Erstickungstod.

Nachfragen hierzu in der Pressestelle des regierungsberatenden und gerade hinsichtlich der Biotonne initiativen BUND ergaben, dass die Problematik dort (angeblich) gänzlich unbekannt ist, man sich das auch nicht vorstellen könne und dass darüber hinaus das dafür zuständige medizinische Referat unbesetzt sei.
Ausgehend von den Komposthöfen entstehen neue Infektionswege – mit z. T. multiresistenten Keimen – über das ganze Land. In einer Biotonne, aber auch in Kompostanlagen und (Feucht-)Biotopen, haben wir es mit verschiedenen Schimmelpilzarten zu tun.

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Literatur
T. Wegmann, Medizinische Mykologie – ein praktischer Leitfaden, 1990, Basel
Hans Rieth, Pilzdiagnostik – Mykosentherapie, 1985, Melsungen
Verbraucherinformation “Abfall”, Verbraucher-Zentrale Hessen, 2001
Der Spiegel, Nr. 14, 2000
Bayerisches Verwaltungsgericht München, Urteil v. 17. 05.2001, Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil v. 04.09.2001 (Az.: M 10 K 00.1441)
H. Schröder, H. Allmers, X. Baur, Gefährdung von Beschäftigten bei der Abfallsammlung und –abfuhr durch Keimexpositionen, Deutsche Medizinische Wochenschrift 123 (1998), 1088-1099
K. Diehl, R. Hofmann, Literaturstudie zu Hygieneproblemen von Kompostieranlagen unter Berücksichtigung der möglichen Gesundheitsgefahren in der Nähe lebender Anwohner, hrs. Bundesumweltamt, Wa.Bo.Lu.Hefte 11 (1996), 8-20.
Bauer, X., Exogen-allergische Alveolitis als Berufskrankheit, Zbl. Arbeitsmed. 46 (1996), 438-442.
G. J. Coenen, S. Dahl, N. Ebbehoj, U. I. Ivens, E. I. Stenbaek, H. Würtz, Immunoglobulins and peak expiratory flow measurements in waste collectors in relation to bioaerosol exposure. Ann. Agric. Environ. Med. 4 (1997), 75-80.
Robert Koch-Institut, Schimmelpilzstreuquellen im Haushalt vermeiden, Pressemitteilung 19.07.1995
S. Krämer, Mykotoxine – die verkannte Gefahr, Gesund Leben Nr. 4/97
Sinnlos sammeln und sortieren – Das Märchen von der Mülltrennung, Panorama Nr. 603 v. 09.08.2001 (ARD), Mitschrift
Alles nur Müll?, Wissensmagazin WiesoWeshalbWarum, 15.04.2004 (SWR), Mitschrift
Jean Pütz (Moderation) Dschungel – Das Umweltmagazin, 23.06.2003 (WDR), “.... Jetzt, wo die Technik ausgereifter ist als vor drei Jahren, sind wir von “Dschungel” noch mehr davon überzeugt. Der grüne Punkt ist überflüssig wie ein Kropf. Er gehört zumindest in die Gelbe Tonne. Und dass wir alle fleißig Müll sortieren und noch Gebühren dafür zahlen, ist ein Skandal. Das muss einmal gesagt werden.”, Mitschrift
Georg Küfner, Hausmüll ist eine wichtige Energiequelle, FAZ 19.11.2002
Burkhard Müller-Ulrich, Sauberes Deutschland? Na, sauber! Der Mensch muss lernen, sich nicht mehr für seinen Abfall zu schämen: Zehn Jahre deutsche Verpackungsverordnung – eine Polemik, Süddeutsche Zeitung am Wochenende, 09./10.06.2001

Anschrift der Verfasserin:
Dipl. oec. troph. Gabriele Baier-Jagodzinski
Postfach 12 64
66922 Pirmasens



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