Füße und Skelettsystem

Eine kulturphilosophische Betrachtung: Der feste Stand und sein Bezug zu menschlichem Selbst- und Weltverständnis

Von Rebekka Reinhard

Mit dem zweibeinigen, aufrechten Gang bescherte der Mensch der Evolution einen entscheidenden Fortschritt. Der Mensch ist das einzige Lebewesen, das sicher und dauerhaft auf zwei Füßen stehen und gehen kann, ohne des zusätzlichen Halts von Armen und Händen zu bedürfen. Das Alleinstellungsmerkmal Standfestigkeit des homo sapiens ist allerdings nicht nur von evolutionsbiologischem oder medizinischem Interesse. Darüber hinaus symbolisiert die Möglichkeit, auch im übertragenen Sinne einen “festen Stand” einnehmen zu können (und zu dürfen), das menschliche Selbst- und Weltverständnis auf paradigmatische Weise. Dies klingt schon in der etymologischen Verwandtschaft von Stand(punkt), Standhaftigkeit, Statik, Status, Statur und Statue an. Die folgende kleine kulturphilosophische Betrachtung möchte skizzieren, mit welch unterschiedlichen Vorstellungen, Werten und Idealen der “feste Stand” im Laufe der Geschichte – von der Antike bis heute – eine Verbindung einging.

Im 5. Jahrhundert v. Chr., dem Zeitalter der Hohen Klassik Griechenlands, ist der stehende Körper der autonome Körper, in dem sich Ruhe und Bewegung, Sein und Zeit vereinen. Für die Griechen ist die Natur der Götter von der des Menschen nur graduell unterschieden – der Mensch kann sich in den Göttern selbst erblicken. Um dem göttlichen Ideal zu entsprechen, muss er einfach nur er selbst sein, so, wie es seiner eigensten, innersten Natur entspricht. Das logische Aufeinanderbezogensein von Mensch, Polis (Stadtstaat) und göttlichem Kosmos drückt sich in den ausgewogenen Proportionen des Standbilds aus, wie beispielhaft an der Doryphoros-Plastik des Polyklet (in römischen Marmorkopien überliefert) zu sehen ist. Polyklet ist der Erfinder der so genannten kontrapostischen Bewegung, die Lastendes und Tragendes, Anspannung und Entspannung im bewegten Kräftespiel des Körpers als Harmonie der Gegensätze sichtbar macht.

In der künstlerischen Darstellung der menschlichen Figur geht es weniger um die athletische Formung des Körpers als um die dahinter liegende Idee der “Megalophysia”, wie sie Aristoteles in der “Nikomachischen Ethik” beschreibt. Die “Megalophysia” ist das sittliche Ideal der männlichen Persönlichkeit, das seit den Zeiten Homers die griechische aristokratische Gesellschaft bestimmt: Zu einem Menschen, der sich großer Dinge für würdig befindet, gehört auch ein würdiger Körper mit einem festen Stand.

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Anschrift der Verfasserin:
Dr. phil. Rebekka Reinhard
Praxis für Philosophische Beratung
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