Ethnomedizin

Erweiterung unserer Medizinkultur

von Marc M. Batschkus

Die Ethnomedizin betrachtet Gesundheit, Krankheit und Heilung in verschiedenen Kulturen. Was verstehen die Menschen unter diesen Begriffen? Wer ist für die Diagnose und Behandlung zuständig? Wie werden bestimmte Erkrankungen behandelt? Das sind typische Fragen der Ethnomedizin.

Das Besondere an diesem Fachgebiet ist seine Interdisziplinarität. Die Ethnomedizin arbeitet im Spannungsfeld zwischen Ethnologie, Anthropologie, Botanik, Medizinsoziologie, Psychologie, Pharmakologie und Medizin. Durch ihren medizinischen Blickwinkel liefert sie Anregungen und Veränderungsperspektiven für die Medizin, die in medizinischen Fachkreisen auf Akzeptanz stoßen. Außerdem gibt es einen zunehmenden Bedarf und Interesse von Seiten der Patienten und Angehöriger sowie in der gesamten Bevölkerung nach Behandlungsmöglichkeiten, die dem Menschen mehr in seiner Ganzheit sehen und ansprechen.

Die Suche nach dem Exotischen hat die Menschen in unserem Kulturkreis in den zurückliegenden Jahrhunderten viele bedeutende Entdeckungen machen lassen. Um eine fremde Kultur zu erleben muss heute niemand mehr Monate lange und gefährliche Anreisen in Kauf nehmen. Einerseits ist das Reisen wesentlich erleichtert, andererseits gibt es auch in unserem Land bereits zahlreiche Anknüpfungspunkte, die einen Einstieg und eigenes Erleben ermöglichen.

Die dahinter stehende Hoffnung ist natürlich, von anderen etwas für unsere eigene Medizinanwendung lernen zu können. Dazu bedarf es der Perspektive und Einsicht, dass auch unsere eigene Medizin ebenfalls ein kulturelles System ist und keine exakte Naturwissenschaft. Außerdem benötigt die Lernwilligkeit auch die Erkenntnis, dass es tatsächlich etwas zu lernen gibt bei anderen Völkern und unsere eigene Medizin nicht nur verbesserungsfähig ist, sondern für manche Bereiche tatsächlich blinde Flecke bestehen. Mit dem Anerkennen des Wertes von Erfahrungen und Heilwissen entstand auch der Wunsch diese nicht nur zu untersuchen, sondern systematisch zu erfassen und zu bewahren. Gerade in den Ursprungsländern fehlt oft das Bewusstsein für den Wert der eigenen Traditionen und die Mittel diese zu Dokumentieren. Oft entsteht dieses Bewusstsein bei den Heilern und Traditionsvermittlern selbst und bildet den Boden für eine fruchtbare interkulturelle Zusammenarbeit. Die politisch Verantwortlichen sind in vielen ärmeren Ländern erschreckend gleichartig darauf bedacht eigene Traditionen durch westliche Medizin und Technologie zu ersetzen. Ein Bewusstseinswandel setzt erst langsam ein und hat eigene Organisationen zur Traditionspflege und Dokumentation hervorgebracht wie die z.B. Prometra: http://www.prometra.org/

Sicherlich am bekanntesten sind die Pflanzenstoffe, die aus dem Regenwald Eingang in die moderne Medizin gefunden haben. Von Pfeilgift Curare, das als Ausgangspunkt für synthetische Stoffe in der Anästhesie diente, über die afrikanische Teufelskralle, die gegen Rheumaschmerzen eingesetzt wird, spannt sich ein weiter Bogen von exotischen Pflanzenstoffen. Bei der Vielzahl der noch vermuteten potenten Heilstoffe besonders in den Regenwäldern des Amazonas ist auch ein massives Interesse der Pharmazeutischen Industrie an der Untersuchung und am Erhalt dieser Lebensräume entstanden. Spezialisierte Unternehmen widmen sich bereits seit Jahren dem optimierten “Screening” von Heilpflanzen und deren Zubereitungen. Inhärent ist dabei das Risiko, dass Wirkstoffe oder Verfahren ohne Anerkennung ihrer Quellen in die Medizin aufgenommen werden und sich so quasi koloniales Verhalten fortsetzt. Neuere Bestrebungen von Pharmaunternehmen deuten hier allerdings auf ein Umdenken hin und auf eine wenigstens partielle Beteiligung von lokalen Bevölkerungsgruppen bei der Gewinnausschüttung. Ob diese Bestrebungen auch wirklich Vorteile für die indigenen Stämme bringen, bleibt abzuwarten.

Ähnlichkeiten

Die weit verbreitete Vorstellung, dass es sich bei weniger technisch entwickelten Völkern auch um eine “primitive” Heilkunde handeln müsse, lässt außer acht, dass oft Jahrtausende alte Traditionen aus purer Notwendigkeit wirksame Methoden für ihre Umgebung entwickelt haben. Egal ob im Regenwald, in der Wüste oder im Polargebiet, immer ging es den Völkern darum die Menschen zu heilen, um sie wieder lebens- und arbeitsfähig und damit wieder sinnvoll in die Gemeinschaft integrierbar zu machen. Auch, wenn diese Begriffe in unserer Industriegesellschaft auf Zahlen und messbare Größen reduziert werden, so geht es doch grundsätzlich um ganz ähnliche Bedürfnisse der Gemeinschaft. Jede Gemeinschaft, ob Urwaldstamm oder Industrienation ist auf das Mitwirken ihrer Mitglieder angewiesen, um weiter zu bestehen. Das oft in Naturvölkern vorhandene Wissen und Gespür für Balance und Ausgeglichenheit im Zusammenleben der Gemeinschaft und im Zusammenhang mit ihrer natürlichen Umgebung unterstützt dieses Bedürfnis noch. Es spricht vieles dafür, dass durch die tiefe anthropologische Verankerung dieses Bedürfnisses im Menschen die erste Berufsspezialisierung, die sich in der Steinzeit wahrscheinlich ausprägte, die des Heilers war. Auch das zeigt natürlich, dass alle Heilkunden jedweden Ursprungs es immer mit Menschen und ihren Gemeinschaften zu tun hatten und haben. Grundsätzliche Übereinstimmungen und Bedürfnisse sind zwischen den Völkern viel größer, als es äußerlich betrachtet erscheinen mag.

Gegensätze
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Heilen ist Teil der Kultur
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Anregung, Austausch und Selbst-Erfahrung als Ausweg
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Integrationsmöglichkeiten
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Literatur:

Marc M. Batschkus
Melusinenstr. 2, 81671 München
info@institut-ethnomed.de
http://www.institut-ethnomed.de



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