FACHFORUM

Der Weg vom einfachen Symptom in die chronische Krankheit

Von Josef Karl

I.

Heute würde ich es so sehen: die besten naturheilkundlichen Bücher kamen nach dem Zweiten Weltkrieg in den fünfziger und sechziger Jahren auf den Markt. Warum dies so erscheint, würde seine Antwort darin finden, dass vieles Auf- und Angestaute, das während des Krieges nicht mehr zur Veröffentlichung kam, herausgebracht wurde. Auch nach 1945 war dies nicht sofort möglich – die Geld- und Papierknappheit verhinderten es. Sehr fruchtbar wurde das Jahrzehnt 1950 – 1960: Angerer, Deck Kriege, Maubach – beispielsweise in der Iridologie.

Einen Grund sehe ich auch darin, dass mangelbedingt vieles Überflüssige, das heute den medizinischen Buchmarkt überschwemmt, zeitbedingt verhindert wurde: Nur die wesentlichen Arbeiten wurden gedruckt. Das ist seit längerer Zeit nicht mehr der Fall: Nahezu alles kommt auf den Markt und die Übersicht ist längst verloren gegangen. Speziell ist zu beklagen, dass eine Unmenge pseudoesoterische Literatur unter dem Deckmantel der Naturheilkunde herausgekommen ist. An einem konkreteren Beispiel kann es festgemacht werden: Auf dem Sektor der Phytotherapie, den ich relativ gut überschauen kann, gibt es kaum einen einschlägigen Verlag, der nicht auch ein Heil- oder Arzneipflanzenbuch im Sortiment haben möchte. Dies treibt dann teilweise kuriose Blüten; einerseits werden sog. medizinische Fachjournalisten, die schon über Gott und die Welt geschrieben haben, mit dem Projekt beauftragt – andererseits sind es Autoren, die zu wenig an eigener Erfahrung haben, vielmehr Materialien einfach zusammenstellen.

II.

Nun zu einem Beispiel der besonders positiven Art: Der Zahnarzt Dr. med. dent. Hugo Balt brachte im Verlag Humanata, Freiburg /Brg. 1955 (hier erschien auch die legendäre “Atemheilkunst” von Dr. med. Ludwig Johannes Schmitt, München) das längst vergriffene Buch mit dem Titel “Die chronische Ermüdung als pathogenetischer Faktor” heraus.

Sie werden, werte Leser/Innen fragen, warum ich auf ein Buch hinweise, das es nicht mehr gibt:

Erstens sollen die Kernpunkte vorgestellt werden und zweitens findet sich heute manches Vergriffene über das Internet. Der Versuch wäre lohnend.

(Am Anfang der sechziger Jahre lernte ich Dr. Balt kurz in der Praxis von Josef Angerer kennen.)

Im Folgenden in 3 Progressions-Phasen der Extrakt, dem ich lediglich aktualisierend den Punkt I. 11. hinzugefügt habe.

I. Zehn Faktoren, die das vegetative Nervensystem belasten und chronisch müde machen:

1. seelische Belastungen
2. falsche Ernährung
3. chronische Infektionsherde
4. Genussmittel-Missbrauch
5. Belastung durch chemische Stoffe
6. zu starke physikalische Reize
7. ständiges Schlafdefizit
8. andauernder Bewegungsmangel
9. Umweltstress (Lärm, Hetze)
10. soziale Belastungsfaktoren
11. Elektrosmog (Mobilfunk z.B.)

Daraus folgen:

Il. Die ersten harmlosen Symptome chronischer Überlastung (Übermüdung):

1. Kribbeln, Ameisenlaufen der Hände
2. ungeformter Stuhlgang (Darmfäulnis bzw. –gärung)
3. Schlafstörungen
4. sich wiederholende Angstträume
5. Nieskrämpfe und übermäßiges Gähnen
6. ständiges Frieren
7. ständige Nervosität, andauernde Reizbarkeit
8. Depressionen
9. sog. Herzstolpern ohne organischen Hintergrund, Herzgefühl
10. wiederkehrende Kopfschmerzen, die andauern, Schwindel
11. “schlechtes Aussehen”

Daraus folgt:

III. Übergang von Übermüdung zu Erschöpfung:

1. andauernde Müdigkeit
2. dauernde Schlaflosigkeit
3. ständig wiederkehrende Neigung zu Katarrhen, Erkältungen
4. rheumatische Erscheinungen, Morgensteifigkeit
5. grundloses Schwitzen
6. Muskelzuckungen
7. Knacksen von Gelenken
8. Gefäßschwäche: “absterbende Finger”, rote Flecken am Hals
9. Schleimhauttrockenheit
10. chronische Stuhlverstopfung

Soweit das Gerüst. Wiederholtes Nachfragen ist erforderlich, weil bei allen diesen Symptomen ein erstaunlicher Bewusstseinsmangel bei den meisten Patienten herrscht. Und fragen allein nützt folglich wenig – ein gezieltes Abfragen erst bringt Licht hinter verborgene Vorgänge, die schließlich zum Ausbruch einer Krankheit – wenn nicht gar zu dem leidlich bekannten –”plötzlich und unerwartet” führen.

III.

Freilich wird es in vielen Fällen einer gründlicheren Anamnese bedürfen. An erster Stelle steht dabei die Konstitution bzw. die Erbsubstanz – was heute vielfach auch Genetik genannt wird. Bekanntlich gibt es Menschen, die sich quasi “alles erlauben können” – sie haben ein unerschütterliches Material von den Vorfahren. Die es aber nicht haben, sollten frühzeitig hellhörig werden: auch ohne in die Hypochondrie zu verfallen, sollten sie auf Ratschläge hören – was viel leichter gesagt als getan ist. Skeptiker werden aus Erfahrung nicht ohne Weiteres an den Nutzen der Aufklärung glauben.

IV.

Aber betrachten wir nur die Oberfläche von Punkt I.1. und I.3.:

Zum ersten die Psyche als ein unendliches Feld. Von der Psycho-Physiognomikerin Frau R.H. Gabler-Almoslechner habe ich viel gelernt. Um nur stichwortartig aufzuzeigen, was sie hier u.a. als bedeutsam ansah, sind zu nennen:

1. unerfülltes Eigenwünschen
2. unerkanntes Eigenwollen
3. Ehrgeiz
4. Eitelkeit

Niemand wird bestreiten, dass allein diese nicht notwendigen Eigenschaften in die Krankheit führen. Man fragt sich: was treibt dich selbst und was die anderen in den Verlust der eigenen Mitte, in den Ehrgeiz und in die Eitelkeit.

I.3. der Fokus, an wichtiger Stelle von Dr. H. Balt genannt. Vergessen wir dabei nicht die Prioritäten, wie sie auch von J. Angerer immer betont wurden: Zähne vor Tonsillen und dann HNO-Störungen, um lediglich die Rangordnung der Kopfherde zu gewichten. Dass der Darm, somit Punkt I.2. “Ernährung”, eine zentrale Rolle spielt, ist hinlänglich bekannt.

Manches im vorher Gesagten mag Ihnen, werte Leser/Innen, selbstverständlich erscheinen. In einer Zeit jedoch, wo immer wieder einzelne Punkte als die Ursache schlechthin herausgestellt werden, sind die Dinge nicht so einfach, wie wir es gerne hätten.

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Anschrift des Verfassers:
Josef Karl
Alpenstr. 25
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