Allergien und Haut

Hautkrankheiten unter humoralpathologischen Gesichtspunkten

von Christian Heimüller

Hautkrankheiten in der Praxis sind ein unerquickliches Thema: Wer hat sich nicht schon gegen die Hartnäckigkeit mancher Hautkrankheiten vergeblich abgemüht oder mußte gar erleben, daß nach dem Verschwinden der lästigen Hauterscheinungen die „Heilung“ sich nur als metastatische Verschiebung auf andere Organsysteme entpuppte?
Die Reaktionsfreudigkeit und die Komplexität der Verquickung von Haut und Gesamtorganismus werden durch wenige Organsysteme übertroffen. Diese Eigentümlichkeit fordert vom Therapeuten eine intime Kenntnis von Funktion und Stellung der Haut im Gesamtorganismus.

Die Einteilung der Hautkrankheiten bloß nach ihren Namen helfen dem Behandler bei der Therapie wenig weiter: „Doch sind diese Formen, besonders bei den chronischen [Hautkrankheiten], sehr wechselnd, veränderlich und mannigfaltig modifiziert, woraus dann eine Menge an Varietäten entstehen, welche man in neueren Zeiten sorgfältig spezifiziert und daraus eine wahre Flora von Hautblüten gebildet hat. Aber diese Unterscheidungen sind nur naturhistorisch, nosologisch interessant, haben aber keinen praktischen Wert; denn sie hängen größtenteils bloß von der individuellen Verschiedenheit des Kranken ab, sind unwesentlich und geben keine Indikation.“ (C. W. Hufeland.)

Begeben wir uns also auf die Suche nach den grundlegenden Prinzipien, denen die Haut mit all ihren Reaktionsformen unterliegt.

„Die Krankheit verallgemeinern“

Seit Hippokrates Zeiten gilt die Regel, man solle die Krankheit verallgemeinern und den Patienten individualisieren.

Der erste Teil dieser kryptisch anmutenden methodischen Regel fordert von uns ein erhebliches Maß an Kenntnis und Abstraktionsvermögen: Wir werden aufgefordert, hinter die Kulissen des Phänomenologischen zu blicken. Phänomenologie als Systematik der Nominalisierungen tilgt das Zeitliche eines Geschehens und damit die Attribute des Lebendigen: Herkunft, Entwicklung, Veränderung, Sterben und Tod. Naturheilkundliche Diagnose ist jedoch nie phänomenologische Bestandsaufnahme, sondern immer Funktionsdiagnose: Warum kann ein Organ nicht den Zustand einnehmen, den es braucht, um auf Impulse der Regulationskreisläufe adäquat zu antworten? Diese Art der Diagnose erfordert Wissen um die Funktionsbedingungen eines Organs, sowie profunde Kenntnis über das konsensuelle Eingebettetsein dieses Organs in den Gesamtorganismus.

1. Funktion und konsensuelle Verbindungen der Haut im Organismus

Betrachten wir uns zuerst die Aufgaben der Haut im Organismus:
Aufgaben der Haut
Konsensuelle Verbindungen der Haut

2. Humoralpathologische Temperamente

Der Sanguiniker
Der Choleriker
Der Phlegmatiker
Der Melancholiker

3. Arzneimittel für Hautkrankheiten der verschiedenen Temperamente

4. Ein Fallbeispiel

Eine 63 Jahre alte Frau klagt über ein chronisches trockenes Ekzem an Dekolleté, Unterleib, Ellenbeugen und Füßen. Der Juckreiz ist manchmal unerträglich. Außerdem leidet sie an Muskelrheuma.

Der Frau wurde mit 45 Jahren der Uterus entfernt, sie ist adipös, verfroren und hat ein ausgeprägtes Frischluftverlangen. Sie leidet unter Verstopfung ohne Stuhldrang sowie Meteorismus. Die Haut fühlt sich kalt und trocken an; Schwitzen kann sie selbst in der Sauna nicht. Im Nierenbereich, über dem Kreuzbein und über der Milz erkennt man besenreiserartige Stauungsgefäße. Das rechte Hypochondrium fühlt sich kälter an als der Rest des Abdomens. Der Blutdruck beträgt 145/95. Die Patientin hat sogar morgens einen hellen Urin mit niedrigem spezifischen Gewicht.

Der Puls ist hart, frequent und schwach. Die Iris zeigt eine Mischkonstitution.

Rezept:
Agnus castus spag. Ø
Bursa pastoris spag. Ø
Fraxinus excelsior Ø
Nuphar luteum D2
Tanacetum balsamita spag. Ø
Ferrum arsenicosum D6 aa. ad 50,0
M. d. S.: 15 gtt. in ein Glas stilles Wasser geben und schluckweise über den Tag verteilt austrinken.

Erklärung:
Die untätige trocken-kalte Haut, die Schwäche der Ausscheidungsorgane (Niere, Darm, Haut) und die kalte Leber sagen uns, daß wir einen Melancholiker vor uns sitzen haben. Die Stauungsgefäße über der Milz verweisen auf die nötigen Milzmittel (konsensueller sympathischer Bezug der Milz zur Haut): Agnus castus und Ferrum arsenicosum. Der Puls und die schwache Verdauung weisen auf einen konsensuellen antagonistischen Bezug von Herz und Verdauungstrakt zur Haut: Fraxinus excelsior und Nuphar luteum. Bursa pastoris und Tanacetum balsamita kommen als Hautmittel für Melancholiker mit in die Mischung.

Fazit
Verstehen Sie diese Einführung als Anregung: Viele Wege führen nach Rom, doch besonders unsere alten Heilverfahren bieten manche Abkürzung durch den therapeutischen Dschungel; alles Gute ist einfach und genau das ist ein besonderes Merkmal der alten Säftelehre:
„Die alte Medizin wurde nicht abgeschafft, weil sie falsch oder schlecht war, sondern weil sie alt war.“ (frei nach B. Aschner.)

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Verwendete Literatur
Avicenna, Liber canonis, Nachdruck der Ausgabe Venedig 1507, Georg Olms Verlag, Hildesheim
Broy, Joachim, Die Konstitution, Foitzick Verlag, 1992
Culpeper, Nicholas, Pharmacopoeia Londensis, 1672
Hufeland, C. W., Enchiridion medicum, 1837
Paracelsus, Sämtliche Werke, hrsg. von Karl Sudhoff, 1922 – 1933
Rademacher, J. G., Rechtfertigung der Erfahrungsheillehre, 1848

Anschrift des Verfassers:
Christian Heimüller
Grünwalder Str. 225b
81545 München



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