Arbeitsgemeinschaft für Klassische Akupunktur und Traditionelle Chinesische Medizin e.V.

Nacktheit und Körperlichkeit

Verständnis von Körper und Körperlichkeit in der Medizin und Kunst Chinas

von Dagmar Hemm, München

Während für den abendländischen Mediziner das anatomische Studium des Menschen seit jeher die Grundlage für das Verstehen der körperlichen Abläufe und Funktionen war, interessierte man sich in China nur wenig für anatomische Details. Das mag daran liegen, dass im alten China anatomische Studien an Leichen tabu waren, denn die Unversehrtheit der Toten war wichtig für deren Möglichkeit des Weiterlebens im „Himmel“. Diese Unversehrtheit und Vollständigkeit des Körpers war und ist für das körperliche Verständnis der Chinesen von größter Bedeutung. Daher wurde beispielsweise auch die gesellschaftliche Stellung der Eunuchen als minderwertig angesehen, auch wenn sie häufig am kaiserlichen Hof zu großem Einfluss und enormem Reichtum kamen. Dennoch war der Preis dafür das freiwillige Verstümmeln des eigenen Körpers. Um jedoch nach dem Tod „vollständig“ beerdigt zu werden, trugen die Eunuchen ihre abgetrennten Hoden (teilweise auch den Penis) in einem kleinen Beutelchen bei sich, der unbedingt in den Sarg gelegt werden musste, so dass der Körper nach dem Tod wieder seine Vollständigkeit hätte.

Dieser Wunsch nach körperlicher Unversehrtheit begrenzte die Möglichkeiten, einen Blick ins Innere des Körpers zu erlangen stark. Teilweise sezierte man Leichen von im Kampf gefallenen Feinden oder hingerichteten Verbrechern. Manchmal fand man auch notdürftig vergrabene Tote (z.B. während Hungersnöten), die von streunenden Hunden ausgescharrt und angefressen wurden und dann studiert werden konnten.

Funktion statt Form

Doch das weniger ausgeprägte Interesse an den genauen anatomischen Strukturen von Muskeln, Sehnen, Knochen aber auch den Organen im Vergleich zu europäischen Ärzten oder darstellenden Künstlern, beruht vor allem darauf, dass für die Chinesen die Funktion wesentlich wichtiger als die Struktur war und ist. Nicht der äußere Körper war wichtig, sondern das Innere, das energetische Zusammenspiel der Kräfte, die das Leben ermöglichen. Der Körper ist nur ein Behälter mit Löchern und Öffnungen, durchzogen von Kanälen, deren Energiefluss an den Pulsstellen zutage tritt. Im Inneren dagegen findet der energetische Austausch statt, dort spielen sich die eigentlichen Veränderungen ab, das Äußere ist nur die Hülle.

Aus diesen Gründen wird auch verständlich, warum die Darstellungen des menschlichen Körpers in Ost und West so differieren. Versucht man im Westen doch den Körper so exakt und naturgetreu wie möglich abzubilden, teilweise sogar in „Schichten geschnitten“, um noch deutlicher Form, Aufbau und Proportionen zu erkennen. In China dagegen ist dies nur von geringem Interesse, denn das energetische Zusammenspiel und das Fließen des Qi können ja nicht – weil unsichtbar! – naturgetreu wieder gegeben werden. So beschränkte man sich darauf, den Verlauf der Leitbahnen auf der Körperoberfläche mit einem durchgezogenen Strich und beim Eintritt ins Körperinnere mit einem unterbrochenen Strich darzustellen. Dass die abgebildeten Personen eher wie „Säcke“ aussehen, ist unwichtig. Der Mensch definiert sich ja nicht über seine körperliche Form, sondern über seine energetischen Lebens-Funktionen, somit ist die Hülle, das Äußere nebensächlich. So würde auch das Nackte das Wesentliche, das den Menschen ausmacht, nicht zeigen können. Es ist ja nur Haut zu sehen, Qi ??? und Shen ???, „Körperkraft“ und „Seele“ hingegen zirkulieren im Inneren.

Körper und Krankheit

in West und Ost

Zang ??? versus Organ

Blutkreislauf versus jingmai ???

Die Darstellung des nackten menschlichen Körpers

Die Form xing ??? als Behältnis für den „Geist“ shen ???

Die Leere beinhaltet alle Möglichkeiten zur Veränderung

Literaturverzeichnis
Cheng, Francois 2004: Fülle und Leere. Die Sprache der chinesischen Malerei. Berlin: Merve
Jullien, Francois 2003: Vom Wesen des Nackten. München: Sequenzia
2005: Das große Bild hat keine Form. München: Wilhelm Fink
Rousselle, Erwin 1962: Zur seelischen Führung im Taoismus. Ausgewählte Aufsätze. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft
Zito, Angela und Tani E. Barlow, Hg. 1994: Body, Subject & Power in China. Chicago: The University of Chicago Press

Anm.:
1 Diese Abbildung von Leonardo da Vinci, um 1508, ist eine Ansicht der weiblichen Brust- und Bauchorgane sowie des Gefäßsystems. Aus Zöllner 2003: 446
2 Diese Abbildung beschreibt die Funktionen des Sanjiao, anatomische Korrektheit oder die Darstellung des Leitbahnverlaufs wird gar nicht angestrebt. Quelle: Eigenes Photo
3 Siehe Rousselle: 21
Daher auch das Bemühen von Manfred Porkert die Leitbahnen jingmai ?? nicht mit Meridianen zu übersetzen sondern sinngemäß mit Sinarterien.
4 Vgl. dazu Julliens Werk mit dem gleichnamigen Titel: „Das große Bild hat keine Form“
5 Jullien 2003: 123
6 Jullien 2003: 127
7 Jullien 2005: 31

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