ETHNOMEDIZIN

Bewusstseinserweiterung und Heilung: Bei den Ayahuasqueros am Amazonas

Ein Beitrag zur Ethnomedizin

Von Walter Andritzky

Felipe Urquia ist einer der in der Gegend um Sepahua anerkannten Heiler, die mit der im ganzen Amazonasgebiet berühmten Heilpflanze ayahuasca (banisteriopsis caapi) arbeiten. Die Äste des Camárampi-Strauches, aus denen das ayahuasca gewonnen wird, nennt man wegen ihrer Form kurz la soga, das Seil. Verkocht werden die Lianen mit den grünen Blättern des chacruna-Strauches (psychotria viridis). Als ich Felipe das erste Mal aufsuche, führt er mich zuerst in seinen "Hexengarten" und beschreibt eine Vielzahl an Heilkräutern und ihre Wirkung. Unter einem Baum wächst ein Büschel des schwersüßlich duftenden pussanga. Die Blätter haben eine legendär aphrodisische Wirkung, die es zu einem der "Geheimnisse der Selva", machen. Die Einheimischen wissen darüber augenzwinkernd die abenteuerlichsten Geschichten zu erzählen.

Vorbereitungen für eine Initiation

Je nach Bedarf der Kranken führt Felipe durchschnittlich einmal die Woche eine nächtliche ayahuasca-Sitzung durch. Schon bald beginnt er, entspannt in seiner Hängematte baumelnd, mich auf die nach der Einnahme von ayahuasca entfesselte visionäre Welt vorzubereiten. In drei Tagen soll ich an meiner ersten Sitzung teilnehmen können. Die durch die psychoaktiven Substanzen der Pflanze ausgelösten Visionen sind jedoch keineswegs beliebig oder ausschließlich von der Lebensgeschichte bestimmt. Es handelt sich um kulturell bestimmte Motive, die entsprechend den Legenden und dem Einfluss der in die Amazonasregion hereinbrechenden westlichen (Un)Kultur bei jedem Stamm etwas verschieden sind. Stundenlang malt Felipe mit wachsender Begeisterung seiner Erlebnisse mit dem Reich der ayahuasca-Leute aus. Da gibt es visionäre Kämpfe mit Hexern, gegen die er seine Krafttiere aussendet, abenteuerliche Verwandlungen und sekundenschnelle Flüge über weite Distanzen. Im Mittelpunkt aber steht das Heilritual.

Doch lassen wir Felipe selbst schildern, wie er seine Laufbahn als ayahuasquero begonnen hat:

“Wir haben mit ayahuasca angefangen und wussten fast nichts. Wir waren wie Kinder, die im dritten Schuljahr mit dem Lesenlernen anfangen. Die Pflanze hat uns alles gelehrt. Jede Nacht raucht man Tabak, nimmt das ayahuasca, und dann, wenn das "Schwindelgefühl" (mareacion) einsetzt, kommen jede Menge "Leute" (gente) und der Teufel. Mit dem sprichst du, der tut nichts. Eine Nacht schläft man, die nächste trinkt man. Dann nimmt man den "toë" (Datura, – eine psychaktive Pflanze mit unangenehmen körperlichen Nebenwirkungen, deren Effekte mehrere Tage anhalten können) und es kommen noch mehr "Leute" . Dann wieder ayahuasca. Tausende kommen dann. Du siehst eine große Stadt, ein Flugzeug, einen Traktor, riesige Boote. Tiger und Löwen kommen zuerst, dann die "Leute" , mit denen du dich unterhältst. Der Geist bringt dich überall hin. Er kann dich in eine große Stadt bringen; da kommt ein Händler, der sagt: "Zieh dich um!" – und plötzlich bist du Soldat.”

Es gibt Berichte über Besuche von ayahuasqueros in fernen Städten, die sie nie zuvor gesehen hatten. Nachprüfungen ergaben oft, dass die Beschreibungen zutrafen. Einer der ersten Berichte des ayahuasca-Rausches stammt von dem equatorianischen Geographen Villavivencio, der sich selbst “zu den herrlichsten Orten fliegen sah”. Er schreibt, die Eingeborenen würden damit befähigt, “in die Zukunft zu schauen und in schwierigen Fällen genau die richtige Antwort zu geben, sich zu vergewissern, welcher Zauberer im Falle der Erkrankung eines Verwandten zur Behexung gerufen werden sollte”. Wegen der Fähigkeit des "In-die-Ferne-Sehens" wurde der halluzinogene Stoff des Ayahuasca zuerst "Telepathin" genannt. Dem Anthropologen Kenneth Kensinger sagten Indianer nach einer Ayahuasca-Zeremonie, sein Vater sei gestorben. Zwei Tage darauf kam die Meldung über Funk.

"Visionäre Liane" , "Amazonisches TV" oder "Todesliane" sind andere Bezeichnungen für diese sakrale Pflanze, "Todesliane" heißt sie, da sie dem Eingeweihten ein Gefühl des Sterbens und Neugeborenwerdens in der ayahuasca-Welt vermittelt.

Diät vor dem Ritual

Eine Nacht mit den Dschungelgeistern

Ein Gesang zum Angriff der schwarzen Katze

Raum und Zeitdimension werden flüssig

"Schulen" psychdelischer Heilkunst in Südamerika

Takiwasi – das "singende Haus"

Eine "traditionelle" Schamanenschule

Eine ayahuasca-Nacht

Heilung im kosmischen Bewusstsein

Ethnobotanischer Garten

Am Vormittag gehen wir durch den Heilpflanzengarten des Zentrums, der sich zwischen den Stämmen des Regenwaldes hinzieht, wo einzelne Rabatten säuberlich mit den traditionellen Bezeichnungen der Pflanzen beschildert sind. Da gibt es ajo-sacha für Schmerzzustände, wasai, rote Wurzeln, deren ausgepresster Saft bei Ohrenschmerzen ins Ohr geträufelt wird oder charco-sacha bei Darmkoliken. Wie Alejandro betont, spielen bei Anbau und Verwendung dieser Pflanzen Faktoren eine Rolle, die für den westlichen Pharmazeuten wohl überraschend klingen. Bei Stoffen, die aus der Rinde einer Pflanze gewonnen werden, ist z.B. die Seite der Sonneneinstrahlung für die Wirkung entscheidend, ferner gebe es von allem “Männchen” und “Weibchen”, macho y hembra, die sich ebenfalls in der Wirkungsweise unterschieden.

Wie ich von Fernando Cabieses, dem Leiter der Abt. Traditionelle Medizin im Gesundheitsministerium erfuhr, sind im Rahmen von Fördermaßnahmen schon eine ganze Reihe solcher ethnobotanischer Gärten in Nordperu angelegt worden, zudem ist Heilpflanzenkunde Pflichtfach an den 22 medizinischen Hochschulen im Lande und jedes Krankenhaus ist angehalten, einen eigenen Heilpflanzengarten zu betreiben.

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Anschrift des Verfassers:
Dr. Walter Andritzky
Psychologische Praxis
Kopernikusstr. 55
40225 Düsseldorf



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