FACHFORUM

Das Darmmikrobiom: Ein funktioneller Ansatz

Von Von Roland Werk

Einleitung

Seit Jahrzehnten ist die Untersuchung der Darmflora (Darmmikrobiom) in der Naturheilkunde ein integraler diagnostischer Bestandteil. Die mikrobiologische und molekularbiologische Forschung der letzten Jahre hat zu einem besseren Verständnis folgender Fragekomplexe geführt:
Welche funktionell bedeutsame Rolle für den Makroorganismus spielt das Darmmikrobiom?
Welche Organismengruppen bestimmen das Darmmikrobiom?
Wie reguliert sich das Darmmikrobiom?
Welche Konsequenzen ergeben sich für die Bewertung der mikroökologischen Stuhluntersuchung?

Die Antwort auf diese Fragen liegt in der Coevolution des durch komplexe, vernetzte Interaktionen geprägten Darm-Darmmikrobiom-Systems. Aus der Analyse dieser Interaktionen ergeben sich Grundlagen und Regeln für ein erfolgreiches Handeln in der Therapie von Darmstörungen und –erkrankungen.

Welche funktionell bedeutsame Rolle für den Makroorganismus spielt das Darmmikrobiom?

Der überwiegende Anteil der Verdauung von Eiweißen, Fetten und Kohlehydraten durch den Makroorganismus ist im terminalen Ileum abgeschlossen. Im Dickdarm fluten im Normalfall nur abgeschilferte Zellen aus dem Dünndarm sowie komplexe Polysaccharide an. Oligo- und Polysaccharide sind die auf der Welt am meisten verfügbaren Polymere. Dennoch lassen sich im gesamten menschlichen Genom nur 96 Glykosidhydrolasen nachweisen (1, 2). Zur Nutzung der Polysaccharide ist der Mensch eine Symbiose mit Bakterien eingegangen. Die Verwertung von nicht-Stärke Polysacchariden ist eine der Hauptaufgaben des Dickdarmmikrobioms. Seine Vielfalt und die Zusammensetzung der Flora bleiben über lange Zeit erstaunlich stabil. Interessanterweise bewirkt die Ernährung keine wesentliche prozentuale Verschiebung der Keimrelationen, wohl aber eine signifikante Veränderung der Stoffwechselleistung.

Eine erhebliche Bedeutung für die Verstoffwechselung von nicht-Stärke Polysacchariden nehmen die Bacteroides-Arten sowie Bifidiobakterien ein. B. tethaiotaomicron kann mit einer Ausstattung von 15 verschiedenen Polysaccharid-Lyasen eine Vielzahl von komplexen Polymeren in Oligomere herunterbrechen, die dann dem Angriff seiner 226 Glykosidhydrolasen zugänglich sind. Auch Bifidobacterium longum weist nur 6 Polysaccharid-Lyasen und 40 Glykosidhydrolasen auf. Darüber hinaus fehlt ihm eine Pektin-Lyase.

Die Polysaccharide werden in der “anaeroben Nahrungskette” in einzelnen Schritten abgebaut. Als vorläufige Endprodukte entstehen kurzkettige Fettsäuren, hauptsächlich Acetat, Propionat und Butyrat. Ein Teil hiervon verbleibt im Darm, um Bakteriengruppen zur Verfügung zu stehen. Der größere Anteil wird dem Körper zur Verfügung gestellt. Dieses partnerschaftliche Miteinander zwischen Darmmikrobiom und Dickdarm hat dazu geführt, dass die Dickdarmschleimhautzellen sich zu 80% auf Buttersäure als Energielieferant verlassen (3). Weiterhin verwenden Gehirn, Herz und Skelettmuskel Acetat, Propionat und Butyrat als Energielieferant. 30% des gesamten Energiestoffwechsels stammen aus der kurzkettigen Fettsäureproduktion des Dickdarmmikrobioms. Zur raschen Aufnahme der kurzkettigen Fettsäuren befindet sich in der Zellmembrane der Schleimhautzellen ein spezielles Transportsystem mit hoher Transportkapazität.

Bereits in den 1980er Jahren hatten Molekularbiologen eine ungeahnte regulatorische Wirkung von Buttersäure auf die Genablesung entdeckt. Buttersäure hemmt ein Schlüsselenzym der Genablesung (Transkription), die Histondeacetylase. Durch die Hemmung der Abspaltung von Acetylresten von Histonen wird die Öffnung der Gene für die Polymerasen aufrecht erhalten und erlaubt eine intensivere Transkription. Dementsprechend vielfältig ist die regulatorische Wirkung von Buttersäure (Abb. 1 - siehe Naturheilpraxis 02/2007); von der Modulation des enteralen Nervensystems, des Fett- und Zuckerstoffwechsels, Regulation des Zellzyklus, Induktion von Zelldifferenzierung und Apoptose (programmierter Zelltod) bis hin zur Stabilisierung des Bindegewebes und des Immunsystems reichen die Wirkungen von Buttersäure. Darüber hinaus liegen systematische Untersuchungen vor, die zeigen, dass Buttersäure Krebszellen resozialisieren oder in nicht redifferenzierbaren Zellen die Apoptose auslösen kann. Dies ist die molekularbiologische Bestätigung der Warburgschen Hypothese, dass sich Krebszellen unter Buttersäure wieder redifferenzieren, d.h. wieder in normale Zellen zurückbilden können. Tatsächlich spricht die Häufung von Darmkrebs mit niedriger fäkaler Buttersäurekonzentrationen für die klinische Bedeutung dieser zell- und molekularbiologischen Daten (Abb. 2 - siehe Naturheilpraxis 02/2007).

Erste Ansätze für den therapeutischen Einsatz von Buttersäure gibt es sowohl in der Schulmedizin zur Behandlung von Leukämie und EBV-Infektionen mit Argininbuttersäure, als auch in der orthomolekularen Medizin mit Präparaten wie Regenerat.

Welche Organismengruppen bestimmen das Darmmikrobiom

Wie reguliert sich das Darmmikrobiom?

Welche Konsequenzen ergeben sich für die Bewertung der mikro-ökologischen Stuhluntersuchung?

Zwei Fallbeispiele

Resumee

Aus mikrobiologischer Sicht sollten daher Darmstörungen unter funktionellen Gesichtspunkten behandelt werden. An erster Stelle steht hierbei die Wiederherstellung optimaler physikochemischer Milieubedingungen im Darm (z.B. pH, Redoxpotential). Diese beinhaltet auch eine Verbesserung der Darmschleimhautfunktion. In einem weiteren Schritt werden Noxen und Schadstoffe soweit möglich entfernt. Hierzu gehört auch aufgrund der engen anatomischen Zusammenhänge zwischen den Bauchorganen einerseits und den knöchernen, bindegewebigen und muskulären Strukturen des Bauch-/Beckenraumes andererseits eine manuelle Behandlung z.B. Osteopathie.

In diesem regenerierten Milieu lassen sich nur durch mikrobiologische Präparate die therapeutischen Maßnahmen langfristig erfolgreich absichern.
Darüber hinaus ist die dauerhafte Mitarbeit des Patienten gefragt. Nach einer Aufklärung über die Zusammenhänge kann er durch Änderung seines Verhaltens (Biorhythmus, Ernährung, Kauhygiene, Bewegung) aktiv an seiner Gesundung teilhaben.

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Literaturverzeichnis:
1. Sonnenberg J. L. et al., Glucan foraging in vivo by an intestine-adapted bacterial symbiont. Science 307 (2005) 1955-1959.
2. Jian Xu, Gordon J. I., Honor they symbionts. Proceedings of the National Academy of Science 100 (2003) 10452-10459.
3. Werk. R., Heinrich J., Butyrat: Eine orthomolekulare Substanz. Zeitschrift für orthomolekulare Medizin 4 (2006) 16-20.
4. Hooper L. V. et al., Molecular analysis of commensal host-microbial relationship in the intestine. Science 291 (2001) 881-884.
5. Kaper J. P., Sperandio V., Bacterial cell-to-cell signalling in the gastrointestinal tract. Infection and Immunity 73 (2005) 3197-3209.
6. Raffa R. B. et al., Bacterial communication (“quorum sensing”) via ligands and receptors: A novel pharmacologic target for the design of antibiotic drugs. Journal of Pharmacalogy and Experimental Therapeutics 312 (2004) 417-423.
7. Breitbart M. et al., Metagenomic analysis of an uncultured viral community from human feces. Journal of Bacteriology 185 (2003) 6220-6223.

Anschrift des Verfassers:
Dr. Roland Werk
BABENDE Institut für med.-mikrobiol. Forschung
Goethestr. 1
97072 Würzburg
Tel. 0931/3 55 11 33
Fax 0931/3 55 11 11
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