LESERBRIEF

Betr.:Beitrag „Medicina Hermetica“ (NHP 11/06, Seite 1617 ff)

Der Beitrag „Medicina Hermetica“ (NHP 11/06) bringt eine sehr gelungene und ausführliche Darstellung der mythologischen und naturphilosophischen Hintergründe des merkuriellen Prinzips in der Spagyrik. In dieser Hinsicht verdient er Lob und Anerkennung. Kritikpunkte sind aber bei daraus abgeleiteten praktischen Umsetzung angebracht.

Herr Baumann führt aus, dass er die Vergärung des Pflanzenmaterials unter Zugabe von Zucker durchführt, um genuinen Gärungsalkohol zu gewinnen, was seiner Einschätzung nach dazu dient, das Problem „Fremdinformation in eine Essenz hineinzuverarbeiten“ zu umgehen. Nun stammt Zucker für gewöhnlich entweder aus Zuckerrohr oder aus Zuckerrüben, zweier Pflanzen also. Inwieweit dies keine „Fremdinformation“ in eine Essenz hineinbringt, müsste zumindest diskutiert werden. Dies scheint mir allerdings nicht das Hauptproblem zu sein. Gravierender ist, dass durch Zuckerzusatz eine pflanzentypische Gärung, und ein damit absolut notwendiger umfassender spagyrischer Aufschluss, gestört wird. Hierzu zwei Überlegungen:

1. Wie Manfred Junius in seinem „Handbuch der Pflanzen-Alchemie“ richtig schreibt, entsteht durch Zuckerzusatz eine rasche und starke Gärung. Der Zucker wird schnell in Alkohol umgewandelt. Vom Standpunkt der spagyrischen Aufschließung der Pflanze aus betrachtet, ist genau dies aber nicht erwünscht. Was passiert hier nämlich? Der zugesetzte Zucker vergärt schnell zu Alkohol, wodurch der Alkoholgehalt im Ansatz rasch ansteigt. Die notwendigen Hefen aber stellen ihre Arbeit bei höherem Alkoholgehalt ein. Die Kohlenhydrate der Pflanze (um deren Freisetzung um Umwandlung es ja zentral geht) haben bei solch einem Vorgehen kaum eine Chance, in Alkohol umgewandelt zu werden. Der Merkur ist hierbei ein Merkur des zugesetzten Zuckers. Zwar ist es richtig, dass vom alchemistischen Standpunkt aus betrachtet, der Merkur im Pflanzenreich der gleiche ist (immer Alkohol), doch ist dieses Argument nicht stichhaltig. Denn schließlich geht es ja um ein Aufschließen der Pflanze und nicht um einen hohen Merkuranteil. Durch Zuckerzusatz zum Gäransatz können die Pflanzen nicht richtig aufgeschlossen werden, d.h. ihr Merkur bleibt zum großen Teil im Pflanzenrückstand. Da ändert auch ein hoher Merkur (Alkoholgehalt) des Gäransatzes nichts daran.

2. Spagyriker wissen, dass jede Pflanze ihren eigenen Gärprozess hat. Dieser läuft bei jeder Pflanze anders ab. Auch dieser Umstand ist es, der das richtige Handhaben der Vergärung so schwierig macht. Gebe ich nun z.B. einer Löwenzahnpflanze Zucker bei, um sie zu vergären, pfropfe ich ihr einen artfremden Gärprozess auf. Der Löwenzahn soll nun vergären als wäre er ein Trauben-, Kirsch- oder Apfelansatz, die alle von Natur aus einen hohen Zuckeranteil aufweisen. Wie aber soll Löwenzahn vergären als wäre er Weintrauben? Das ist eine erzwungene „Fremdgärung“, die für diese Heilpflanze absolut untypisch ist. Es ist auch nicht möglich, den durch Zuckerzusatz gewonnenen Alkohol z.B. bei einem Löwenzahn-Ansatz als „arteigen“ zu bezeichnen. Löwenzahn allein kann auch unter optimalen Bedingungen kaum mehr als 2 bis 3 Prozent Alkohol bilden. Jeder höhere Alkoholwert muss zugesetzt werden, entweder durch Zucker bei der Gärung oder durch Alkohol nach der Destillation. Und wenn Junius – vollkommen richtig – anmerkt, der Alkohol könne, da der Merkur im ganzen Pflanzenreich identisch ist, zu jedem Zeitpunkt des spagyrischen Prozesses von außen zugesetzt werden, dann frage ich mich, warum man das dann machen soll, wenn gerade dieser Vorgang das fermentative Aufschließen der Heilpflanze beeinträchtigt?

In vielen bekannten Büchern über Spagyrik und Alchemie liest man von dieser scheinbar eleganten Möglichkeit, durch Zuckerzusatz eine Pflanze schneller zu vergären. Aber gerade in der Spagyrik sollte man sich den Altmeister Paracelsus nicht nur auf die Fahnen schreiben, sondern ihn wirklich ernst nehmen wenn er fordert, nicht aus alten Büchern sondern einzig im Lichte der Natur zu lernen.

Hans-Josef Fritschi
Karl-Bromberger-Str. 5
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