Blätter für klassische Homöopathie

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Klassische Homöopathie

Die homöopathische Behandlung rheumatischer Erkrankungen

Von Gerd Aronowski

Zusammenfassung

Es werden zwei Kasuistiken der homöopathischen Behandlung von rheumatischen Erkrankungen vorgestellt. Zum einen die Behandlung eines jungen Mannes, der an einer ausgeprägten Form des Morbus Still litt, zum anderen die Behandlung einer Patientin, die an chronischer PCP leidet. Es wird auf den Wert der pathognomonischen Symptome bei der Falllösung hingewiesen.

Schlüsselwörter:
Morbus Still, PCP, pathognomonische Symptome.


Die Behandlung rheumatischer Erkrankungen – insbesondere der chronischen Formen – ist, auch aus dem Blickwinkel der homöopathischen Praxis, kein einfaches Unterfangen. Der Begriff Rheumatismus (er leitet sich vom griechischen Wort rheo = fließen ab), wurde vom Arzt Guillaume de Baillou (Humoralpathologe, 1538-1616) in Paris geprägt, welcher die Ursache der rheumatischen Schmerzzustände im Fließen “kalten Schleims” im Organismus zu erkennen glaubte.

Der rheumatische Formenkreis fasst auch im heutigen Sprachgebrauch eine Vielzahl sehr unterschiedlicher Störungen zusammen, welche zumeist mit ziehenden, vagabundierenden Schmerzen im Bereich der Weichteile und Gelenke einhergehen. Ihre Entstehungsursache ist nur teilweise geklärt. Zum Teil werden sie den Autoimmunerkrankungen zugerechnet, teils scheinen ihnen Stoffwechselblockaden, genetische Prädispositionen und andere Ursachen zugrunde zu liegen. Adolf Vögeli weist auf die besondere Bedeutung des Zahnherdgeschehens bei einem Teil der Fälle hin und führt in seinem Buch Die rheumatischen Erkrankungen, ihre rationelle Behandlung und Heilung 1 einige beeindruckende Fälle an, die seine These belegen.

Im Wesentlichen werden sich die folgenden Ausführungen auf die für die homöopathische Behandlung relevanten Aspekte beschränken. Die erfolgreiche Behandlung chronischer Rheumaerkrankungen ist, wie die Erfahrung zeigt, oft nur über einen langen Zeitraum möglich. In einem Teil der Fälle stellt sich erst mit der Zeit und unter dem Einfluss mehrerer aufeinander folgender Mittel eine Besserung der Beschwerden ein, so dass im Einzelfall nicht immer ganz genau gesagt werden kann, welcher der Arzneien das größte Verdienst zukommt. Die Beurteilung der Heilung ist auch deshalb erschwert, weil die Erkrankungen an Kontinuität vermissen lassen und ihr teilweise stark schwankender Verlauf erst im Laufe der Zeit realistisch beurteilbar ist. Die Erkrankungen verlieren unter der konsequenten homöopathischen Behandlung zumeist ihre Kraft, wenn sie auch nur in einem Teil der Fälle vollständig verschwinden. Erschwerend kommt bei der Behandlung hinzu, dass der rheumatischen Störung oft eine langjährige Störung des Allgemeinbefindens vorausgegangen ist, welche schon zu einem früheren Zeitpunkt eine Behandlung notwendig gemacht hätte. Somit handelt es sich bei den meisten rheumatischen Erkrankungen um eine langjährige und somit tief im Organismus verwurzelte Störung, für die es auch in der Familiengeschichte oft Anzeichen gibt. Viele dieser Störungen entwickeln sich langsam und für das subjektive Gefühl des Patienten unmerklich. Erst der Schmerz beendet dann den Zustand eines langsam entstandenen, aber wenig greifbaren Unwohlseins und weicht dann dem dringenden Bedürfnis, schnelle Heilung zu finden. Doch gerade dann ist Geduld erforderlich, denn es handelt sich um einen fortgeschrittenen Krankheitszustand. Eine weitere Schwierigkeit bei der Behandlung rheumatischer Beschwerden besteht auch darin, dass sie nicht selten mit einem Mangel an prägnanten und mittelweisenden Symptomen einhergehen, also den so genannten einseitigen Krankheiten zuzuordnen sind. Dies ist ein Umstand, der die homöopathische Verordnung erschwert.

Im Folgenden werden zwei Fälle aus eigener Praxis vorgestellt, an denen einige Schwierigkeiten bei der Behandlung rheumatischer Erkrankungen, aber auch die Möglichkeiten einer erfolgreichen homöopathischen Therapie aufgezeigt werden. Im ersten Fall handelt es sich um eine schwere Verlaufsform der juvenilen Polyarthritis – dem Morbus Still. Diese Erkrankung zeichnet sich aus durch eine im Vordergrund stehende, hoch entzündliche Aktivität in den Gelenken und Muskeln und eine hochgradige systemische Beteiligung in Form von Lymphknotenschwellungen, Fieberschüben, Exanthemen und einer Hepatosplenomegalie. Sie wird den Autoimmunerkrankungen zugeordnet. Konventionell wird die Erkrankung mit Corticosteroiden und Immunsupressiva behandelt.

Fall 1: Morbus Still

Fall 2: PCP einer 37-jährigen Frau

Zusammengefasster Verlauf

Colchicum wurde bis zum Mai 2005 bis zur 18. Q-Potenz gegeben. Darunter kam es zu einem stetigen Rückgang der Gelenkschmerzen. Der Gesamtzustand besserte sich um 60% der Ausgangslage (es verblieben also 40%), bis mit dem Mittel kein weiterer Erfolg mehr erzielt werden konnte.

Unterkühlte Räume und feuchtkalte Witterung wirkten sich weiterhin als Verschlechterungsfaktoren für das Rheuma aus. Die Vorblutung vor der Regel verschwand. Die Regel blieb aber weiterhin schwach. Ebenso blieb eine Verschlechterung des Rheumas vor der Regel bemerkbar. Die Patientin sei nicht mehr so verfroren. Es sei ein vorher nicht genannter starker Haarausfall verschwunden. Die Taubheitsempfindung an den Fingern beider Hände sei verschwunden und sie habe wieder mehr Sensibilität in den Fingern. Die Gelenke seien nicht mehr so berührungsempfindlich und die frühmorgendliche Verschlechterung der Rheumaschmerzen habe sich verloren. Erstaunlich war auch, dass sich die Verschlechterungszeit 10 Uhr verlor. Morgens erwache sie erfrischter. Sie bezeichnete sich als nicht mehr so nervös. Die Stimmung sei deutlich zuversichtlicher. Sie könne die Ereignisse der Vergangenheit wieder mit mehr Distanz betrachten. Die Landkartenzunge blieb unverändert.

An dieser Stelle wird der detaillierte Bericht über diesen Fall geschlossen. Es folgten weitere antipsorische Arzneien. Die Patientin befindet sich weiterhin wegen ihres Rheumas in Behandlung. Der Zustand der Patientin bessert sich weiter, auch wenn sie noch nicht beschwerdefrei ist. Die schulmedizinischen Arzneien konnten reduziert, wenn auch nicht vollständig abgesetzt werden.

Es war in diesem Fall notwendig, auf die ganz im Vordergrund stehende Hauptbeschwerde, der PCP mit den zu ihr gehörenden Symptomen in ihrer individuellen Ausprägung zu verordnen. Die vorab verordneten Arzneimittel deckten in Ähnlichkeit gut die Symptomentotalität der Patientin ab, für die Hauptbeschwerde verfügten sie jedoch nicht über ausreichend ähnliche Arzneiwirkungen, um eine Heilwirkung zu entfalten.

Die beiden Fälle zeigen, dass die homöopathische Arbeit immer wieder vor die Aufgabe gestellt wird, jeden Fall genau zu betrachten, um eine wirksame homöopathische Verordnung zu treffen.

...

Anmerkungen:
1 Voegeli, Adolf: Die rheumatischen Erkrankungen. Heidelberg (Haug Verlag), 1981.
2 Hiermit soll der schubweise Verlauf in der Repertorisation erfasst werden, wenn in diesem Fall auch keine strenge Periodizität damit gemeint ist.
3 Dass sich die Arznei auch in der Schulmedizin bei der Gicht bewährt hat und auch heute noch dafür eingesetzt wird, hat den Hintergrund, dass durch ihren Einsatz die Leukozyten in ihrer Beweglichkeit sehr gehemmt werden und somit in den Gelenken die Entzündungsmediatoren verzögert und abgeschwächt ausgeschüttet werden. Diese zytostatische Wirkung macht man sich in ähnlicher Art und Weise ja auch beim Methotrexat in der Rheumatherapie zunutze. Auch das Methotrexat hat starke zytotoxische Eigenschaften. Colchicin ist ein Mitosegift!
4 Gerstel (Wien), in: AHZ 1860, Bd. 61, Nr. 18, S. 137.
5 Gerstel (Wien), in: AHZ 1860, Bd. 61, Nr. 18, S. 138.
6 Prof. K. Schroff, in: AHZ 1857, Bd. 54, Nr. 12, S. 94.
7 Unsin, in: AHZ 1856, Bd. 52, Nr. 9, S. 67.
8 Gerstel (Wien), in: AHZ 1860, Bd. 61, Nr. 15, S. 113.
9 Anmerkung des Autors.
10 Gerstel (Wien), in: AHZ 1860, Bd. 61, Nr. 15, S. 113.
11 Anmerkung des Autors.
12 Mossa (Konstanz), in: AHZ 1885, Bd. 110, Nr. 7,
S. 51.
13 Gerstel (Wien), in: AHZ 1860, Bd. 61, Nr. 18, S. 138.
14 Anmerkung des Autors.
15 Gerstel (Wien), in: AHZ 1860, Bd. 61, Nr. 16, S. 122.
16 Gerstel (Wien), in: AHZ, 1860, Bd. 61, Nr. 18, S. 138.
17 ebd.
18 Gerstel (Wien), in: AHZ, 1860, Bd. 61, Nr. 18, S. 137
19 ebd.
20 Unsin, in: AHZ 1856, Bd. 52, Nr. 14, S. 107.
21 ebd.
22 Gerstel (Wien), in: AHZ, 1860, Bd. 61, Nr. 18, S. 138.
23 Lippe, Adolf: Grundzüge und charakteristische Symptome, Burgdorf Verlag 1992.
24 Gerstel (Wien), in: AHZ, 1860, Bd. 61, Nr. 20, S. 155.
25 Gerstel (Wien), in: AHZ, 1860, Bd. 61, Nr. 20, S. 154.

Literaturangaben:
Repertorisationsprogramm ComRep ML mit Complete Repertory (Franz Simbürger; 84174 Eching).
Gerstel (Wien): Colchicum autumnale in seiner Beziehung zum Rheumatismus, in: AHZ, 1860, Bd. 61, Nr. 18.
Hahnemann, Samuel: Organon, 6. Auflage. Heidelberg (Haug Verlag), 1887.
Lippe, Adolf: Grundzüge und charakteristische Symptome. Burgdorf Verlag 1992.
Mossa (Konstanz): Colchicum autumnale – Nach ihrer physiologischen und therapeutischen Wirkung, in: AHZ, 1885, Bd. 110, Nr. 1.
Schroff, K.: Über Colchicin und über das Verhältnis des getrockneten Knollenstockes zu dem Samen der Zeitlose, in: AHZ, 1857, Bd. 54 Nr. 12.
Unsin: Zur Kenntnis des Colchicum, in: AHZ, 1856, Bd. 52 ,Nr. 9.
Voegeli, Adolf: Die rheumatischen Erkrankungen. Heidelberg (Haug Verlag) 1981.

Anschrift des Verfassers:
Gerd Aronowski
Uhlandstr. 8
78464 Konstanz



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