PHYTOFORUM

Keine Angst im Umgang mit losen Drogen

Von Peter Germann

Ein Leserbrief in einer der letzten Ausgaben der „Naturheilpraxis“ hat mich dazu bewogen, etwas Grundsätzliches zur Anwendung von losen Drogen zu schreiben. Ich hatte den Eindruck, dass sowohl mit Rezeptzusammenstellungen, als auch mit dem Umgang mit Trivialmaßen recht dogmatisch und fast mathematisch umgegangen wird.

Lose Drogen unterliegen nicht, wie Fertigarzneimitteln, einer standardisierten Milligramm Verabreichung. Daher auch der großzügige Umgang mit Trivialmaßen, also Volumeneinheiten, die jeder Haushalt als Messeinheit zur Verfügung hat. Wenn man unterschiedliche Bestecke sieht, so stellen sich Tee- und Esslöffel verschieden groß dar.

Es kommt auf ein bisschen mehr oder weniger nicht an. Trotzdem gibt es Grammhinweise, welche als Richtlinie definiert sind: ein Teelöffel entspricht 3 g Pflanzengewicht, ein Dessertlöffel 5 g und ein Esslöffel 10 g. Je nach Drogenanteil ist allerdings eine mehr oder weniger große Dichte zu verzeichnen. So ist ein Teelöffel Fenchelsamen (Foeniculi sem.) sicherlich grammmäßig mehr, als ein Teelöffel Königskerzenblüten (Verbascae flos.).

Weitere Trivialmaße sind „Dreifinger voll“, so viel, wie man mit Daumen, Zeige- und Mittelfinger fassen kann und „Zweifinger voll“, dass, was zwischen Daumen und Zeigefinger geht. In gepulverter Form wird die letzte Mengeneinheit auch als Prise bezeichnet und mit zirka zwei bis drei Gramm angegeben. „Eine Hand voll“ ist die Kräutermenge, die man leicht gehäuft auf der nach oben offenen, etwas gewölbt gehaltenen Handfläche unterbringen kann.

Diese Menge wird mit zirka siebzig g angegeben und spielt unter anderem in der Mengenverwendung der Phytobalneologie eine Rolle.

Ein Schnapspintchen oder Stamperl ist mit zwanzig Millilitern genormt, eine Tasse oder ein Glas entsprechen der Menge von hundertfünfzig.

Die angegebenen Dosierungen sind bei einer Tagesmenge von einem Liter Teeflüssigkeit entsprechend einem vierundzwanzig jährigem Erwachsenen von siebzig Kilo zu sehen.

Je nach Konstitution und Alter muss hoch oder runder gerechnet werden. So sind die Standartangaben bei einem achtzigjährigen Schwundtypus nach Mayr mit fünfundvierzig Kilogramm Körpergewicht anders zu sehen, als bei einem dreißigjährigen Bewegungs- Ernährungsnaturell nach Huter mit einhundert Kilo.

Bei einem zwölfjährigen Kind ist die Hälfte der angegeben Drogenmenge zu verabreichen, bei einem Sechsjährigen ein Viertel. Auch hier spielt die jeweilige Konstitution eine Rolle; weiterhin sind Kinder nicht pauschal als “kleine Erwachsene“ zu werten und haben häufig individuelle Mengengrößen.

Die definierten vier Phasen der Arzneiwirkung gelten natürlich auch für die Phytotherapie.

Heilwirkung tritt in der zweiten Phase auf. Die erste zeigt wenig bis keine Reaktion, sie ist unterdosiert, die dritte geht in den Bereich der Überdosis und damit der Umkehrung der Symptome ins Gegenteil. Dieser zweite Bereich der Heilwirkung ist definiert zwischen der Schwellendosis, der Menge mit einer schwachen Wirkung und der Maximaldosis, bis zu der der Heilreiz gesteigert werden kann. Es ist erkennbar, dass die therapeutische Verabreichung einer Droge eine gewisse Bandbreite aufweist. Dies lässt auch unterschiedliche Mengenangaben von Trivialmaßen in Rezepturen verstehen, welche in verschiedenen Höhen zwischen den beiden genannten Polen anzusiedeln sind.

Der toxische Schwellenwert ist bei mite-Phytotherapeutika recht hoch, bei forte-Drogen weit aus niedriger. Dies muss in der Dosierung der individuellen Teezusammenstellung berücksichtigt werden.

Dass es toxische Erscheinungen auf Teeverabreichungen bei einmaliger Einnahme gibt, ist rein theoretisch. Chronische Toxizitäten allerdings sind gar nicht so selten. Häufig entstehen sie durch Eigenmedikamentationen. Kommt man anamnestisch gerade bei kalendarisch älteren Frauen auf die Stuhlgewohnheiten, ist die häufige Antwort: „Ja, da habe ich Last mit. Aber da nehme ich seit zwanzig Jahren was rein Pflanzliches!“ So werden in unverantwortlicher Weise über langen Zeitraum antrachinonglycosidhaltige Drogen wie Sennesblätter (Sennae fol.) oder Faulbaumrinde (Frangulae cort.) eingenommen.

Allergische Reaktionen auf Teeverabreichungen sind in der Regel harmlos und durch den Ausschluss des Auslösers schnell zu beseitigen.

Auch paradoxe Reaktionen sind möglich. Äußerungen wie, „Das kann davon nicht kommen“, sind falsch. Gibt der Patient neue oder ein verstärktes Krankheitsbild seit der Einnahme der Rezeptur an, ist ein Zusammenhang nicht auszuschließen. So kann sich das Bild von Unruhe unter der Gabe von Baldrian (Valarianae rad.) durchaus verschlechtern, vor allem, wenn die Zustände endogener Art sind. Auch hier muss der „Übeltäter“ ausgeschaltet werden und auf eine Droge mit ähnlichem Indikationsindex zurückgegriffen werden.

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Anschrift des Verfassers:
Peter Germann
Im Karrenberg 56
44329 Dortmund
www.phytaro.de
Das Gesundheitshaus Viriditas
PhyTaro-Heilpflanzenschule Dortmund

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Naturheilpraxis 11/2006