Genie oder Scharlatan? Leonhard Thurneysser zum Turn (1531-1596)

von Brigitte Nusser

In den Nachschlagewerken alter Kräuterheilkunde wird er oft nur kurz und beiläufig erwähnt. Kein anderer Gelehrter jener Zeit steht so oft und direkt für den Begriff des Scharlatans. Doch damit nicht genug, so wird er auch Quacksalber, Betrüger, Wucherer, Hehler, Zauberer und Lügner geschimpft. Bei intensiverer Betrachtung seines Lebenslaufs und Schaffens erkennen wir aber einen Menschen mit ungeheuerem Wissensschatz und die ihm zugeschriebenen Berufe wie Alchimist, Arzt, Astrologe, Bergbautechniker, Botaniker, Chemiker, Drucker, Geograph, Geologe, Goldschmied, Mineraloge, Pharmazeut dürften für diesen Gelehrten nicht ausreichen: Leonhard Thurneysser zum Thurn.

Geboren wurde er 1531 in Basel, als Sohn eines Goldschmieds. Sein Vater ließ ihn ebenfalls dieses Gewerbe lernen. Nebenbei arbeitete Thurneysser als Famulus bei Dr. Huber (1507-1571), einem Arzt und Professor für Physik. Es war wohl Huber, der ihn als erster mit den Schriften des Paracelsus konfrontierte, was sein ganzes Leben verändert sollte. Die Naturwissenschaften würden ihn von nun an nicht mehr aus dem Bann lassen und Paracelsus sollte ein Leben lang sein Vorbild bleiben.

Er verließ zunächst Basel 1547, um England und Frankreich zu bereisen, trat kurzzeitig den Truppen des Markgrafen Albrecht bei, wurde bei der Schlacht von Sievershausen verwundet und kehrte schließlich 1555 in seine Heimatstadt zurück, wo er kurz darauf das erste Mal heiratete. Thurneysser musste aber bald fluchtartig seine Heimatstadt wieder verlassen, nachdem er in seinen Bemühung finanzielle Mittel zu besorgen Stangen vergoldeten Bleis an Juden verkaufte, was natürlich schnell aufflog. Sein Weg führte ihn zunächst nach Russland, später nach Straßburg und schließlich nach Konstanz, wo er Anna Huettlin kennenlernte, die er nach seiner Scheidung zur Frau nahm. Thurneysser leitete seit 1559 einige Bergwerke in Tarrenz in Tirol und er legte sich dort auch eine eigene Schmelz- und Schwefelhütte an. Im Auftrag Ferdinands II. begann er 1560 eine Studienreise, in der er seine bergbautechnischen und metallurgischen Kenntnisse ausbauen sollte. Seine Reise führte ihn von England und Schottland über die iberische Halbinsel nach Ägypten, Kleinasien, Griechenland, Italien und Ungarn. Wieder zurück fand er seine Bergwerk zerstört, was ihn veranlasste sich nun einzig den Naturwissenschaften zu widmen. Die Reisen erweiterten seinen geistigen Horizont und er brachte natürlich vieles an Rezepten, Schriften, Pflanzen, Mineralien und anderes fremdes Wissen mit. Bald nahm er eine Stelle als Apothekerarzt in Münster an, die ihn aber nicht befriedigte. Schließlich hörte er von der berühmten Druckerei des Johann Eichorn (1524-1583). Hier erhoffte er sich die besten Bedingungen für den Druck seiner schriftlichen Werke. 1571 erschien bei Eichorn ein Buch über die Harnschau: “Praeoccupatio, Durch zwöllf verscheidentlicher Tractaten gemachter Harm Proben, Durch Leonhart Thurneysser zum Thurn erfunden, vnd gemeinen nutz zu gutem am tag geben”

Zweifelsohne gehört Leonhard Thurneysser zu den belesensten und vielseitigsten Gelehrten seiner Zeit. Auch wenn er fähig war mit sich selbst kritisch ins Gericht zugehen, es fehlten ihm dennoch ausreichende Genügsamkeit und Gewissenhaftigkeit. Es war schließlich seine Maßlosigkeit im Anhäufen von materiellen Gütern, wie auch sein nicht zu stillender Durst nach Wissen, was ihn ständig trieb – ihn rastlos machte im Geiste, wie im Herzen und es ihm somit unmöglich wurde seine Arbeiten mit völliger Gründlichkeit und Konzentration auszuführen. Dennoch möchte ich meinen, dass sein schlechter Ruf nicht auf vermeintlich schlechten Absichten beruht, sondern vielmehr auf Neid und Missgunst der Anderen. Bis heute steht sein Name für den “medizinischen Scharlatan”, ich hoffe Sie bewerten diese Aussage nun etwas kritischer.

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Anschrift der Verfasserin:
Dr. med. Brigitte Nusser
Reinweg 1
82031 Grünwald



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