Ob Husten, Schnupfen, Vogelgrippe – Selen

von Gabriele Baier-Jagodzinski

Von allen möglichen Therapien sollte der Arzt die am wenigsten Sensationelle wählen.
Hippokrates

Nur noch in Literatur (Thomas Mann “Zauberberg”, Albert Camus “Die Pest”), alten Filmen (“Semmelweis”, “Robert Koch”) oder bildender Kunst (Jan Brueghel d. Ä. “Triumph des Todes”, eine Pestdarstellung um 1597) kann heute noch der Horror von unbehandelten Infektionskrankheiten besichtigt werden. Kranke wurden separiert, Tote weit außerhalb bestattet, Gelübde um Verschonung getan, denn bis in die Neuzeit galten Seuchenzüge als Strafe Gottes für liderliches Leben. Als Robert Koch dann den Erreger der Tuberkulose fand, höhnte Sauerbruch vor seinen Studenten: “Neuerdings sollen es ja kleine Tierchen sein, die die Krankheit verursachen. Ich kann da nur sagen: Hier Tierchen!”, wobei er sich mit dem Finger unzweideutig an die Stirn tippte. Und Ignaz Semmelweis rettete durch seine Entdeckung der Ursache des Kindbettfiebers nicht nur unzähligen Wöchnerinnen das Leben und den Neugeborenen fortan ihre Mütter, er verlor darüber seine Professur am Sankt-Rochus-Spital im ungarischen Pest und verstarb im Alter von nur 47 Jahren in der geschlossenen psychiatrischen Abteilung, wohin man ihn zwangsweise (und grundlos) festsetzte, weil das Klinikestablishment der ständigen Händedesinfektion nach Leichensektionen überdrüssig war und sich deshalb eines Störenfriedes entledigen wollte. Die Zahl von Todesfällen durch Kindbettfieber sprang danach wieder in die Höhe. Der Zusammenhang zwischen Erreger und Infektion einerseits und von Hygienemaßnahmen andererseits war jedoch nicht mehr zu leugnen.

Mit der Entdeckung und Anwendung von Penicillin und weiterer Antibiotika, die nach dem Krieg verzögert auch in Deutschland verfügbar waren, verloren Infektionskrankheiten ihren Schrecken. Gleichzeitig verhinderten nationale Impfprogramme den Ausbruch weiterer Seuchen. So schlossen die Kliniken, bis auf meist zwei “Bereitschaftsbetten”, ihre Isolierstationen, Kurkliniken wie Rheinsberg fehlte es an Patienten und wurden umgewidmet. Das hatte zur Folge, dass die nach Kriegsende geborene Generation – und damit auch die künftigen Ärzte – keine Infektionskrankheit mehr aus eigener Anschauung kannte. Die Gewichtung der Infektionslehre in der Medizinerausbildung nahm zugunsten anderer Fächer ab, andere, “interessantere” Krankheiten versprachen eine größere Herausforderung an Wissenschaft, ärztlichem Handeln und – last not least – Geldmitteln.

Die Bemühungen, das Wandern von Erregern aufzuhalten, sind alt. Im Mittelalter versperrte man die Stadttore, um der Pest den Eintritt zu verwehren. In JAMA 292, 2004, 1474-1479 wird die Entwicklung seit 1851 skizziert, als die erste internationale Konferenz stattfand. 1945 übernahm die WHO eine tragende Rolle auf diesem Gebiet. Die Ausrottung der Pocken war eine Sternstunde, ansonsten verkümmern viele Hoffnungen angesichts Armut, Fundamentalismus und Terror.

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Literatur:
Ludwig Feuerbach, deutscher Philosoph (1804-1872)
Baier-Jagodzinski, G., Freie Radikale und Orthomolekulare Medizin, in: Die Naturheilkunde, 2/2005, Gräfelfing, 2005
Baier-Jagodzinski, G., Was ist Orthomolekulare Medizin?, in: Naturheilkunde-Journal 7/8 2005, Meckenheim, 2005
Baier-Jagodzinski, G., Allgemeine Infektionslehre, Teningen, 1986
Buddecke, Pathobiochemie, 2. Aufl., Berlin, 1983
Hans Dietl/Gerhard Ohlenschläger, Handbuch der orthomolekularen Medizin, 2. verb. Aufl., Heidelberg, 1994
W. Forth, D. Henschler, W. Rummel, K. Starke, Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie, 7. völlig neu bearb. Aufl. Heidelberg, 1996
Ohlenschläger, Gerhard, Das Glutathionsystem – Ordnungs- und informationserhaltende Grundregulation lebender Systeme, Heidelberg, 1991
Ohlenschläger, Gerhard, Freie Radikale, Oxidativer Stress und Antioxidantien, Köln, 1995
Gerhard Ohlenschläger, Betrachtung über die fundamentale pathobiochemische Bedeutung “freier” Radikale und aktivierter Sauerstoffstufen in lebenden Systemen, in: Ozon-Journal, 1. Jhg., April 1988
Ohlenschläger, G. Berger, I., Die selenabhängigen Glutathion-Peroxidasen, in: ngm 4, 1991
Stryer, Lubert, Biochemie, 4. Aufl., Heidelberg, 1996

Anschrift der Verfasserin:
Dipl. oec. troph. Gabriele Baier-Jagodzinski
Postfach 12 64
66922 Pirmasens



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