Blätter für klassische Homöopathie

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Klassische Homöopathie

Für alle Fälle Phytolacca?

Von Helga Häusler

An Hebammen wird immer wieder die Frage herangetragen, ob es zum Abstillen oder zur Reduzierung der Milchmenge nicht auch homöopathische Mittel gebe, die sanfte und nebenwirkungsfreie Hilfe bieten. In den meisten Fällen wird den Frauen dann zur Einnahme von Phytolacca in einer niedrigen D-Potenz (D2 oder D4) geraten. Diese Empfehlung ist jedoch nicht unproblematisch.

Bei Phytolacca decandra handelt es sich um die Kermesbeere, welche ursprünglich in Nordamerika heimisch ist und dort als Heilmittel vor allem bei Rheuma Verwendung fand. Da die Pflanze giftig ist, führte die Anwendung nicht selten zu heftigen Nebenwirkungen und Vergiftungserscheinungen. Am häufigsten kommt es dabei zu Erbrechen, schmerzhaften Magenbeschwerden, Durchfall und Krämpfen. Beim Umgang mit getrockneten und pulverisierten Bestandteilen der Pflanze kann es zu Reizungen der Augen, der Nase und des Halses kommen sowie zum Auftreten von Kopfschmerzen.

Als Ausgangssubstanz für die Herstellung des homöopathischen Arzneimittels findet die Tinktur der im Herbst gesammelten Wurzel Verwendung. Diese ist neben den Beeren der giftigste Teil der Pflanze, da sie den höchsten Anteil an Triterpensaponinen enthält.

Den Bezug von Phytolacca zur Milchbildung hatten bereits die Melker im letzten Jahrhundert in Nordamerika bemerkt und sie machten häufig erfolgreichen Gebrauch von der Pflanze, wenn es Probleme bei der Milchsekretion der Kühe gab oder wenn Verdickungen und Knoten in den Eutern auftraten.

Wichtige Hinweise zur Wirkung von Phytolacca auf die Milchbildung und Milchsekretion bei Frauen verdanken wir Dr. Erwin Schlüren, der in den 70er Jahren eine systematische Untersuchung zu diesem Thema durchgeführt hat. Er verwendete dabei tiefe D-Potenzen (D1 bis D4) und konnte deren milchreduzierenden Effekt deutlich belegen.

Wahrscheinlich geht darauf die in der homöopathischen Literatur häufig anzutreffende Aussage zurück, dass Phytolacca in Abhängigkeit von der verabreichten Potenz Einfluss auf die verschiedenen Prozesse der Brust nähme, also in tiefen Potenzen die Milchbildung hemmt, während sie in hohen Potenzen die Milchmenge steigert und den Milchfluss verbessert. Vom homöopathischen Standpunkt aus stellt dies aus mehreren Gründen eine unzulässig verkürzte Sicht der Dinge dar.

Phytolacca zum Abstillen

Phytolacca zur Milchreduzierung

Phytolacca und Quecksilber (Mercurius)

Nicht nur zur Regulierung der Milchmenge

Zusammenfassend kann man sagen, dass es sich bei Phytolacca um ein wichtiges, tief greifendes und lang wirkendes Arzneimittel handelt. Es hat sich nicht nur bei der Regulierung der Milchmenge, sondern auch bei vielen anderen Störungen der Brust und der Laktation vortrefflich bewährt und ist aus dem Fundus einer homöopathisch arbeitenden Hebamme nicht wegzudenken. Ich möchte jedoch für einen reflektierten und umsichtigen Umgang mit diesem wie auch mit allen anderen homöopathischen Arzneimitteln plädieren, welcher sich eher an den bewährten Regeln der Homöopathie als an vagen Mutmaßungen orientiert.

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Literatur:
AHZ 218 (1973), S. 202.
Boger, C. M.: Synoptic Key. Charakteristik und Hauptwirkungen homöopathischer Arzneimittel. Ruppichteroth: Similimum-Verlag, 2002.
Guernsey, H. N.: Homöopathie in Gynäkologie und Geburtshilfe. Ruppichteroth: Similimum-Verlag, 1995.
Kent, J. T.: Kents Arzneimittelbilder. Vorlesungen zur homöopathischen Materia medica. Heidelberg: Haug, 1997 (9. Auflage).
Mezger, J.: Gesichtete homöopathische Arzneimittellehre (Bd. 1 und 2). Heidelberg: Haug, 1999.
Phatak, S. R.: Homöopathische Arzneimittellehre. Göttingen: Burgdorf, 1999.
Schlüren, E.: Homöopathie in Frauenheilkunde und Geburtshilfe. Heidelberg: Haug, 1980.
Dieser Artikel wurde veröffentlicht im Hebammenforum – Magazin des Bundes Deutscher Hebammen, August 2005, Seite 587ff.

Anschrift der Verfasserin:
Helga Häusler
Hebamme
Bismarckstr. 64
70197 Stuttgart



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