FACHFORUM

Adonisröschen

von Bernd Hertling

Auch wenn Adonis aus der Rinde des Myrrhenbaumes hervortrat, also im wahrsten Wortsinne einer Pflanze entstammte, war er von königlichem Geblüt. Leider können wir hier aus Platzgründen nicht ausführlich auf die Herkunft des Adonis eingehen, doch soviel sei gesagt: Adonis musste die eigene Mutter Schwester und den eigenen Vater Großvater nennen, war also das Resultat einer inzestuösen Vereinigung von Vater und Tochter. Diese Geschichte stellt allerdings eine Ausnahme zu all jenen üblen Missbrauchsgeschichten, die heutzutage allgegenwärtig sind, dar, weil es eindeutig die Tochter war, die, sagen wir einmal, unter dem verderblichen Einfluss einer Göttin, sich mehr als üblich in den Vater verliebt und ihn auf heimtückische Art und Weise „herumgekriegt“ hatte. Um die Göttin, es handelt sich um Aphrodite, nicht in völlig falschen Verdacht geraten zu lassen, müssen wir aber anmerken, dass am Anfang der Geschichte ein Frevel stand: Myrrha, so hieß die Mutter des Adonis, lästerte Aphrodite, indem sie nicht nur ihr Haar mit dem ihrigen verglich, sondern dabei das der Göttin als Zweitplatziertes bewertete. Auf den Frevel folgte die Strafe: Aphrodite beauftragte Eros den Liebespfeil auf Myrrha abzuschießen, sobald sie sich ihrem Vater Kinyras näherte, und die Be- oder besser Getroffene ruhte nicht eher, bis sie den Vater unter Vorspiegelung falscher Tatsachen hinters Licht geführt hatte. Um sie vor seiner Rache zu erretten, verwandelten die Götter das verblendete Mädchen in einen dornigen Baum, aus dessen Rinde dann nach der üblichen Frist (bei Menschen, nicht bei Bäumen) Adonis hervortrat.

Adonis vernalis – Adonisröschen

Dass aus einer Vegetationsgottheit, die zuerst aus einem Baum geboren wurde, schließlich eine Blume hervorgehen muss, scheint schon fast zwingend in der Konsequenz des Mythos.

Die im Mythos aus dem roten Blut des gefällten Adonis erwachsende Blume ist natürlich: Adonis aestuvalis, das Sommer-Adonisröschen, denn der Ursprung der Sage vom zeitweilig in der Unterwelt verweilenden Sonnen-Mann ist mit großer Sicherheit orientalischer Natur, so dass der Held den heißen Sommer, während dessen die Sonne alle Vegetation versengt und ausdörrt, unter der Erde verbringen muss. Doch auch in unseren, sogenannten gemäßigten Breiten muss die Sage ihren auf die Vegetation bezogenen Hintergrund nicht einbüßen. Allerdings sind die Sommer nördlich der Alpen selten von einer derartigen Intensität, dass die Vegetation abstirbt, oder besser gesagt, einzieht, um dann im milderen Herbst wieder hervorzutreten. Hier ist es der eisige Frost des Winters, der den Pflanzen ihre Vegetationspause aufzwingt, sie in ihre unterweltlichen Wurzelelemente hineindrückt, wo sie besserer Zeiten harren. Hier ist es das Frühlings-Adonsiröschen, das den Lenz und den kommenden Sommer bewillkommnet. So ist dieses seltene, schöne Hahnenfußgewächs eine rechte Sponsa solis, eine Sonnenbraut.

Adonis beinhaltet Herzglykoside, Adenidoside, welche vor allem bei tachykarden Dysregulationen eingesetzt werden, und, man höre und staune, besonders beim nervösen Herzen, welches durch emotionale Erschütterungen aus dem gleichmäßigen Rhythmus geworfen wurde. Adonis kann man also getrost als Spezificum bei Herzneurose ansehen. Also nicht nur ihr Vegetationsrhythmus hat seine Wurzeln im Mythos, auch die medizinische Anwendung bei „gebrochenem Herzen“ bzw. bei durch Verlust oder auch nur befürchteten Verlust des Lebenspartners aus dem Rhythmus geworfener Herztätigkeit, denn die verwegenen Liebesgeschichten von Myrrha und ihrem Vater, ihrem Sohn und der Liebesgöttin stehen ja als zeitlose Paradigmata für schuldhafte und schuldlose Verstrickungen.

1 Die Goldene.
2 Die Himmlische.
3 Die mit dem schönen Gesäß.
4 Die Hure. Alles gängige Kultbeinamen Aphrodites.
5 Er ist zugleich Täter und Opfer in der Sage vom gleichnamigen Tier, das Meleagros und Atalanta erlegen.
6 Ihn zu erhaschen ohne ihn zu töten war eine der Aufgaben des Herakles, also sicher kein Kinderspiel.
7 Der Leichenbrand ist nicht über die gesamte Antike hinweg üblich, es findet sich auch Körperbestattung.

...

Anschrift des Verfassers:
Bernd Hertling
Heilpraktiker
Nettelkofener Str. 1
85567 Grafing



weiter ... (für Abonnenten der Naturheilpraxis)


Zum Inhaltsverzeichnis 01/2006

Naturheilpraxis 01/2006