Blätter für klassische Homöopathie

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Klassische Homöopathie

Die Homöopathie im Jahre 250 nach Hahnemann

von Josef M. Schmidt

250 Jahre nach Hahnemanns Geburt kann die von ihm begründete Homöopathie auf eine ansehnliche Geschichte ihrer weltweiten Verbreitung zurückblicken. Gleichwohl haben sich die gesellschaftlichen, wissenschaftlichen und religiösen Rahmenbedingungen, innerhalb derer Homöopathie praktiziert und gelehrt wird, gegenüber Hahnemanns Zeit enorm verändert. Dementsprechend zahlreich waren und sind auch die Versuche, durch eine Verknüpfung Hahnemannscher Gedanken mit neueren Erkenntnissen oder Entwick-lungen eine zeitgemäße moderne Homöopathie zu vertreten. Um sich nicht im heute vorherrschenden Pluralismus von Schulen und Strömungen zu verlieren, bietet sich als Maßstab zur Beurteilung neuerer Konzepte Hahnemanns ursprüngliche Idee und Geisteshaltung an.

Meine sehr verehrten Damen und Herren,

wie Sie vielleicht wissen, hat der Begründer der Homöopathie, Samuel Hahnemann, dessen Geburtstag sich am 10. April zum 250sten Mal jährt, hier in Leipzig Medizin studiert, in Stötteritz – das damals noch ein Vorort von Leipzig war – 1790 seinen berühmten Chinarinden-Versuch durchgeführt und sich 1812 an der hiesigen Universität habilitiert, um dort siebzehn Semester Vorlesungen über die Homöopathie zu halten. Aus einer kleinen Gruppe eingeschworener Studenten bildete er hier die erste Arbeitsgemeinschaft für Arzneimittelprüfungen, deren Ergebnisse sich binnen weniger Jahre in den sechs Bänden von Hahnemanns Reiner Arzneimittellehre niederschlugen. Durch die homöopathische Behandlung des Fürsten Karl von Schwarzenberg, der durch seinen Sieg über Napoleon in der Völkerschlacht bei Leipzig (1813) berühmt geworden war und der 1820 eigens von Prag aus zu Hahnemann nach Leipzig angereist kam, wurde die Homöopathie auf einen Schlag in weiten Teilen der Bevölkerung bekannt. 1832 schließlich bediente sich Hahnemann des „Leipziger Tagblatts“, um sich und die „echte Homöopathie“ in einem scharfen Aufsatz gegen die Praktiken der sogenannten „Leipziger Halb-Homöopathen“ abzugrenzen. Die Stadt Leipzig hat also nicht nur bei der Begründung, Konsolidierung und Verbreitung der Homöopathie eine zentrale Rolle gespielt, sondern auch in der darauf folgenden Differenzierung und Verteidigung der reinen Lehre.

Die Saat, die in dieser Stadt entstanden war, ging in den folgenden Jahrzehnten und Jahrhunderten in zahlreichen Ländern aller Kontinente dieser Erde auf und trug beachtliche Früchte. Die Ausbreitung der Homöopathie über die ganze Welt erfolgte allerdings unter sehr verschiedenen regionalen, zeitlichen und kulturellen Rahmenbedingungen, so daß durch die unterschiedlichen Arten ihrer Rezeption von Anfang an immer schon auch ein wesentliches Problemfeld miteröffnet war, das in der langen und eindrucksvollen Geschichte der Homöopathie nie vollständig gelöst werden konnte. Seit den Tagen von Moritz Müller und Traugott Kretzschmar, an denen sich damals in Leipzig der Streit um die Grenzen des Simile-Prinzips kristallisierte, konnte die homöopathische Gemeinschaft bis zum heutigen Tag keinen klaren Konsens darüber finden, was denn nun wirklich gute bzw. richtige (oder gar die beste Art von) Homöopathie sei. So einig man sich stets in der Berufung auf Hahnemanns „Organon der Heilkunst“ sozusagen als Bibel der Homöopathie war und ist, so unterschiedlich waren und sind doch die Auslegungen dieser Schrift durch so verschiedene Schüler und Anhänger wie – um nur einige zu nennen – Bönninghausen, Hering, Dunham, Hughes, Bakody, Kent, Allen, Ortega, Vithoulkas, Sankaran, Masi-Elizalde, Scholten usw. (s. Taschenatlas Homöopathie, S. 72–95). Wenn auch manche Grundgedanken bei fast all diesen Autoren und Lehrern in ähnlicher Weise wiederzufinden sind, so hat sich doch das Gesicht der Homöopathie seit den Tagen Hahnemanns von Generation zu Generation immer wieder geändert, wobei sich die Geschwindigkeit der Abfolge immer neuer Ansätze in den letzten Jahrzehnten beträchtlich gesteigert hat. Inzwischen ist der jeweils neueste Stand der seit einigen Jahren wieder entfachten Diskussion über das, was Homöopathie sein soll, nicht mehr in gediegenen, altbewährten Lehrbüchern zu finden, sondern quasi nur noch in den gerade aktuellsten Zeitschriften-Artikeln oder natürlich im Internet, etwa auf der Website „Homöopathie-Debatte“ unter „www.Grundlagen-Praxis.de“.

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Literatur:
Hahnemann, Samuel: Organon der Heilkunst. Neufassung der 6. Auflage mit Systematik und Glossar von Josef M. Schmidt. Urban & Fischer-Verlag (Elsevier), München 2003
Hahnemann, Samuel: Organon der Heilkunst. Standardausgabe der 6. Auflage. Bearb. und hrsg. von Josef M. Schmidt. Neuausgabe. Haug-Verlag (Thieme), Heidelberg 1999
Hahnemann, Samuel: Organon der Heilkunst. Textkritische Ausgabe der 6. Auflage. Bearb. und hrsg. von Josef M. Schmidt. Neuausgabe. Haug-Verlag (Thieme), Heidelberg 1999
Hahnemann, Samuel: Gesammelte kleine Schriften. Hrsg. von Josef M. Schmidt und Daniel Kaiser. Haug-Verlag (Thieme), Heidelberg 2001
Schmidt, Josef M.: Bibliographie der Schriften Samuel Hahnemanns. Siegle-Verlag, Rauenberg 1989
Schmidt, Josef M.: Die philosophischen Vorstellungen Samuel Hahnemanns bei der Begründung der Homöopathie. Sonntag-Verlag (Thieme), München 1990
Schmidt, Josef M.: Taschenatlas Homöopathie in Wort und Bild. Haug-Verlag (Thieme), Heidelberg 2001

Festvortrag, gehalten am 2. April 2005 anläßlich des Kongresses des BKHD zum 250. Geburtstag von Samuel Hahnemann, im Renaissance Hotel zu Leipzig.

Verfasser:
Priv. Doz. Dr. med. Dr. phil. Josef M. Schmidt
Ludwig-Maximillians-Universität München
Institut für Geschichte der Medizin
Lessingstr. 2
80336 München



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