FACHFORUM

Primäre Arthrose – eine Regulationsstörung?

von Hans Hanisch

“Abnutzungserscheinungen” in den Gelenken sind weit verbreitet. Nach (1) erleidet jeder Mensch Arthrose, wenn er lange genug lebt. Die Lebenslänge wird dabei nur 30 bis 50 Jahre überschreiten müssen, denn in diesem Alter werden bereits bei 50 % der Bevölkerung Knie-Arthrosen festgestellt (2). Die Tendenz scheint steigend zu sein. Wurden in Deutschland 1988 etwa 70000 künstliche Hüftgelenke eingepflanzt, so waren es 1992 bereits 100800 (Gierse, Maaz, Wessolowski 1992, Hüftendoprothetik – Eine Standortbestimmung. Dt. Ärzteblatt 89:38-41 in (3)). In der Homepage der Klinik Hoher Meissner ist aktuell von 120000 Hüftgelenks- und 75000 Kniegelenkprothesen jährlich die Rede.

Die Definition der Arthrose ist einfach: Die Gelenkknorpel werden geschädigt und zersetzen sich. Die Ursache dieser Knorpelschädigung ist nicht bekannt. Als Risikofaktoren gelten: Alter, genetische Prädisposition, Übergewicht, Trauma, Deformation und Fehlstellung des Gelenks, extreme Belastung, Vibrationen (Presslufthammer o.ä.), Wechseljahre (Hormonhaushalt) (3).
Alter und genetische Disposition wurden und werden bei allen unbekannten und einem Teil der bekannten Krankheitsursachen als Auslöser oder Verstärker bemüht. Allerdings kenne ich einige Personen jenseits der 60ger, die keine arthrotischen Beschwerden haben. Ob deren genetische Voraussetzungen so gut sind, dass sie die Wirkung des Alters neutralisieren? Auch in (5) wird festgestellt, dass die degenerativen Alterserscheinungen nicht zur Arthrose führen.

Die Häufigkeit der Arthrose lässt statistisch vermuten, dass in der Reihe der Vorfahren genügend Fälle gefunden werden, die eine Vererbung annehmen lassen. Umgekehrt wird niemand untersuchen, ob bei Menschen ohne Arthrose die Vorfahren auch keine Arthrose hatten. Jedenfalls wird in (6) festgestellt, dass es keinen sicheren Hinweis auf eine Mutation des “Genlokus COL2A1” gibt. An gleicher Stelle wird festgestellt, dass bisher kein biochemischer Defekt als Ursache der primären Arthrose nachgewiesen wurde.
Bleiben Übergewicht, Trauma, Deformation und Überbelastung als Themenkreis, in den die Wechseljahre nicht recht hineinpassen. Der Themenkreis trägt offensichtlich den Titel “Überbelastung des Knorpelgewebes”, da auch die Deformation zu ungleicher Belastung der Knorpelfläche und damit zur partiellen Überlastung führt. In der Literatur wird von einem “biomechanischen Konzept” gesprochen (6). Damit sind, ganz allgemein ausgedrückt, Form- und Belastungsfehler als Ursache der primären Arthrose gemeint. Unterstützt wird diese Annahme durch den (trotz intensiver Forschung) fehlenden Nachweis einer ursächlichen Knorpelzellzerstörung und die nachweislichen sekundären Arthrosen bei Achsenfehlstellung oder Trauma. Aus klinischen und epidemiologischen Beobachtungen scheint eine mechanische Ursache gegeben. Auch die Defektzonen der betroffenen Knorpel weisen auf eine mechanische Ursache hin. Der Defekt liegt immer im belasteten Bereich des Knorpels (5; 6).

Gegner dieser Hypothese neigen molekularbiologischen Ursachen zu. Tatsächlich sind im arthrotischen Knorpelgewebe destruktive Veränderungen festzustellen, was wohl niemand überraschen wird. Die Zerstörung betrifft den enzymatischen Abbau der Knorpelmatrix, welche von den Chondrozyten gebildet wird. Diese Knorpelmatrix bildet mit ihrer Faserstruktur und dem hohen Speichervermögen für Wasser die eigentliche tragende Struktur des Knorpels. Folgerichtig wird die Therapie auf den Schutz und die Substitution dieser Matrix ausgerichtet sein (2; 4). Neben der Injektion knorpelbildender Substanzen (z.B. Hyaluronsäure) kommen enzymhemmende Wirkstoffe (z.B. COX2-Hemmer) zum Einsatz. Die symptomatische Behandlung mit Kortison zur Entzündungshemmung und Schmerzmitteln ist zweischneidig. Kortison führt zu Knochenabbau und Knorpelschäden, Schmerzmittel hemmen die Bildung von Proteoglykan in den Chondrozyten und damit die Regeneration der Knorpelmatrix (7). In beiden Fällen werden zwar die entsprechenden Symptome unterdrückt, die Arthrose aber gefördert.

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Literatur:
(1) Niethard/Pfeil: Orthopädie, 4. Ausgabe 2003, Thieme-Verlag Stuttgart
(2) Auerbach, Babett: Ergebnisse einer prospektiven randomisierten Studie zur Wirksamkeit hochvernetzter Hyaluronsäure bei der Behandlung der Gonarthrose, Justus-Liebig-Universität Gießen 2001, URL: http://geb.uni-giessen.de/geb/volltexte/2002/865/
(3) Hörber, Christine: Untersuchungen zur Substratspezifität von Aggrekanasen, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main 2000, URL: http://publikationen.ub.uni-frankfurt.de/volltexte/2003/78/
(4) H. Kreher/ B. Rupprecht: Gonarthrose: Behandlung durch die Knie-Kombi-Therapie, Naturheilpraxis 11/2000
(5) A. M. Debrunner: Orthopädie Orthopädische Chirurgie, 3. Auflage 1994, Verlag Hans Huber
(6) W. Remmele: Pathologie Band 5, 2. Auflage 1997, Springer-Verlag
(7) F. Milz/A. Pollmann/K.-P. Schirmer/M. Wiesenauer: Naturheilverfahren bei orthopädischen Erkrankungen, 1998, Hippokrates-Verlag
(8) D. Messerschmidt: Einfluss der Stimulation von Extensor-Gruppe-I-Afferenzen auf Stand- und Schwungphase des Gehens beim Menschen, Universität Freiburg 2000, URL: http://www.freidok.uni-freiburg.de/volltexte/46
(9) C. Sobau: Mittel- und Langzeitergebnisse nach arthroskopischen partiellen lateralen Meniskusresektionen in ansonsten als nicht-pathologisch einzustufenden Knien, Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg, URL: http://www.ub.uni-heidelberg.de/archiv/2560

Anschrift des Verfassers:
Hans Hanisch
Heilpraktiker
Wagenschwender Str. 15
74838 Limbach-Balsbach
E-Mail: HP.Hanisch@t-online.de



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