FACHFORUM

Frauenschuh versus Venuspantöffelchen

von Bernd Hertling

Dass die Liebe eine Weltenkraft sei, die sicher von Anfang an dagewesen sein muss, darüber stritten sich die antiken Philosophen, die sich sonst wegen so ziemlich jeder Kleinigkeit uneins waren und sich darob in die Haare kriegen konnten, ausnahmsweise einmal einig. Sicher gab es Varianten, die von Eros als dem ältesten und gleichzeitig jugendlichsten der Götter berichteten, doch auch die Göttin der Liebe, die Hellenen nannten sie Aphrodite, gehörte bei ihnen zu einer Generation von Göttern, die eigentlich vorolympisch waren, da sie unmittelbar aus dem Himmelsgott, Uranos, hervorging. Dieser stand ja, als erstes Götterpaar zusammen mit der Erdgöttin Gaia, für den eigentlichen Anfang des Kosmos.

Anders als wir Christen, die wir an eine Schöpfung aus dem Nichts, erfolgt durch Gottes Willen, glauben, machten es sich die Hellenen hier ausnahmsweise einmal leichter, indem sie das Vorhandensein einer, wenngleich ungeordneten Materie, das Chaos, postulierten. Doch dann traten Himmel (Uranos) und Erde (Gaia/Gè) auf den Plan, wer sie hervorgebracht oder erschaffen hatte, wird unklar gelassen, bzw. ist umstritten.1 Uranos überließ die Kinder, die er mit Gaia hatte, ihr zur alleinigen Erziehung, denn er hatte keinen Sinn für ein geregeltes Familienleben. Die Mythendichter umschrieben das mit der Formel, „denn die Kinder, die sie ihm schenkte, waren ihm verhasst“. Kaum geboren, verbannte der Vater sie ins Erdinnere zurück, von woher sie eigentlich ans Licht wollten und nun der Mutter ihre Not klagten. Allnächtlich lag sie ihm deshalb in den Ohren, doch der Himmelsgott stellte sich taub. Kronos, der jüngste seiner Söhne drängte die Mutter mehr und mehr, denn er sehnte sich nach Licht und Freiheit, bis schließlich Gaia Eisen in ihrem Leib wachsen ließ, das Kronos zur Sichel formte und gleich in der nächsten Nacht erprobte er die Wirksamkeit der neuartigen Substanz, indem er, Freud hätte seine helle Freude, den Vater kastrierte. Damit kappte er das Verbindungsglied zwischen Himmel und Erde und warf es, er wollte sichergehen, dass keine Magie die Macht des Vaters restituieren würde, ins Meer, das aufschäumte, als Uranos’ Männlichkeit hineinstürzte, oder war es lediglich etwas von dem dabei austretenden Blut – oder auch nur der Same, da streiten sich die Mythenforscher, jedenfalls bildete sich durch den Kontakt des göttlichen Körperteils / der Körperflüssigkeit mit dem Wasser ein eigenartiger Schaum, welchem dann ein Wesen voller Anmut, Grazie und Liebreiz, auf den Punkt gebracht, das schönste Wesen, das die Welt je sah, die Göttin der Liebe und Schönheit, Aphrodite entstieg2. Ihr Name bedeutet "die Schaumgeborene", und sie wird oft als die kyprische Göttin bezeichnet da die Insel Zypern ihre Urheimat gewesen war. Tritonen zogen sie in einer überdimensional großen Kammmuschel über die Wellen, die sich sogleich türkis verfärbten, selbst Aither, der Gott des Himmelsglanzes wurde ganz rosa, als er sie erblickte und Eros, der älteste der Götter, eilte herbei um sich an ihrer Seite niederzulassen und nie mehr von ihr zu weichen. Noch heute zeigt man sich die Stelle, wo sie bei Paphos auf der Insel Zypern an Land ging, was zum augenblicklichen Aufblühen der Insellandschaft geführt hatte. Man könnte nun sagen, den ersten Schritten, die jene Göttin tat, entprossen Blumen, welche die Natur so formte, dass sie dem zierlichen Füßchen der schaumgeborenen Kypris exakt passten. Eine Tatsache, die Linné dazu brachte, ein entsrpechendes Gewächs nach der Liebesgöttin zu benennen. Ihre Kyprische Heimat schlug sich also nicht nur in ihrem Beinamen Kypris und im wissenschaftlichen Namen der ihr heiligen Karpfenfische, den Cypridae, nieder, auch in der Botanik wird ihr eine der schönsten Blumen unserer, sogenannten gemäßigten, Breiten, für viele die schönste schlechthin, geweiht. Ihr Deutscher Name ist ebenso schlicht wie einfallslos, und hört man unvoreingenommen „Frauenschuh“, denkt man unter Umständen zuerst an die Holzpantinen der Waschfrauen verjährter Epochen oder an für Orthostase sorgende Birkenstocklatschen, statt an die Samtpantöffelchen einer Venezianischen Kurtisane. Aber was soll man von Naturwissenschaftlern, die z.B. den possierlichen Koalabären mit „Kletterbeutler“ eindeutschen, schon anderes erwarten? Erst die unmittelbare In-Augenscheinname der Pflanze in ihrer natürlichen Umgebung, die auch noch Herz und Sinn der gelangweiltesten und überreiztesten Großstädter erreicht, und ihnen staunend bewundernde Entzückenslaute abnötigt, öffnet den Sinn für den etwas umständlich klingenden wissenschaftlichen Namen: Cypripedium calceolus.

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1 Die Vorsokratiker sahen entweder im Feuer (Herakleitos) oder Wasser (Thales) den urgrund des Seins, oder aber sie postulierten, wie Empedokles, immaterielle Kräfte, wie Streit und Liebe, die den Kosmos vewirkten.
2 Diese Aphrodite anadyomene "die aus dem Meer auftauchende", hatte wohl Sandro Botticelli als Motiv für sein weltberühmtes Bild vor Augen.

Anschrift des Verfassers:
Bernd Hertling
Heilpraktiker
Nettelkofener Str. 1
85567 Grafing



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Naturheilpraxis 11/2005