FACHFORUM

Herbert Fritsche – Vorkämpfer der Homöopathie - Mensch und “unbekanntes Wesen”

Von Friedbert Ficker

Der französische Nobelpreisträger Alexis Carrel betitelte sein in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts erschienenes Buch “Der Mensch – das unbekannte Wesen”. Die damals viel diskutierte Schrift ist in unserer schnelllebigen Zeit wie so vieles weitgehend in Vergessenheit geraten, die dort aus universeller Sicht gewonnenen Erkenntnisse sind detailliertem Spezialistentum gewichen – ohne dass man jenem “unbekannten Wesen” näher gekommen wäre. Vorausschauend hat Carrel festgestellt: “Wir müssen uns darüber klar sein, dass die Wissenschaft vom Menschen die schwierigste von allen Wissenschaften ist” 1) – und er hat recht behalten.

Herbert Fritsche war ein ausgeprägter Typ jenes “unbekannten Wesens”, wie Carrel den Menschen zu charakterisieren versucht hat. Auch ihm wird man allenfalls in den Erinnerungen seiner letzten noch lebenden Zeitgenossen oder in heute schwer zugängigen und meist ebenfalls nicht mehr bekannten Zeitschriften begegnen. Dabei hat er in einem verhältnismäßig kurzen Leben von 49 Jahren mit einer ebenso erstaunlichen Wissensbreite wie vorausschauenden Weitsicht ein Gedankengebäude errichtet, dessen Richtigkeit in den grundlegenden Fragen sich um so mehr erweist, je mehr der zeitliche Abstand zu ihm wächst und ihn die heutige von anderen Erkenntnisvorstellungen bestimmte Welt zu widerlegen scheint.

Dabei schien das Leben des am 14.6.1911 in Berlin-Rixdorf als Sohn eines in der Wirtschaft tätigen Einkaufsabteilungsleiters geborenen Herbert Fritsche nach dem Besuch des Kaiser-Friedrich-Realgymnasiums und dem Abschluss mit der Note “Gut” einen erfolgversprechenden bürgerlichen Verlauf zu nehmen. Darauf konnte auch neben einem bereits während der Schulzeit veröffentlichten Gedichtband das Studium der Psychologie und Biologie an der Berliner Universität samt der aufsehenerregenden Dissertation “Beiträge zur Ökologie der Land-Isopoden Groß-Berlins” hinweisen. Diese der Keller-Assel gewidmete und mit dem Prädikat “magna cum laude” bewertete Arbeit machte ihn mit einem Schlag weltweit unter den Fachkollegen der Zoologie bekannt. 2)

Herbert Fritsche, der als profunder Vorkämpfer der Homöopathie aufgetreten ist, war kein Sektierer, wie man ihn gelegentlich sehen wollte. Er hat im Gegenteil die Lehre Hahnemanns in einer umfassenden Weitsicht vertreten, die letztlich auch der Differenziertheit menschlichen Daseins entspricht. Diese Spannweite war wohl nur möglich, weil er selbst durch die Höhen und Tiefen geschritten ist – wie er sich selbst nicht ohne Grund als “Abenteurer wider Willen” gesehen hat. 17) Ohne Zweifel ist es ein Abenteuer, den als “normal” angesehenen Pfad des Durchschnittsbürgers zu verlassen und sich in weithin unbekannte Bereiche zu wagen, in denen der Mensch selbst ein unbekanntes Wesen ist, um noch einmal Carrel zu zitieren. Das gilt für alle Bereiche des menschlichen Seins und das gilt nicht minder für die Homöopathie, wenn die Auseinandersetzung mit ihr Samuel Hahnemann gerecht werden will. Nur so konnte Fritsches Weg zu den Lichtpunkten führen, die ihm bleibende Anerkennung sichern werden. Bipolares Denken setzt damit freilich auch jene unergründlichen Tiefen voraus, von denen seine letzten Lebenstage ahnen lassen, die wie von einem Windhauch umschrieben werden:

Finstere Nächte

Finstere Nächte
mit Zweifeln erfüllt –
Hoffen und Sehnen
bleibt ungestillt

Grübeln und Jagen
nach dem Sinn der Welt,
des keines Weisen
Geist noch erhellt.

Brodeln und Gären
wie ein Vulkan
Brausen und Stürmen
gleich dem Orkan

Bitten und Flehen
um Rast und Ruh’,
Kühlende Erde –
Heimatland du.

...

1) Alexis Carrel: Der Mensch – das unbekannte Wesen. Stuttgart/ Berlin o.J., S. 23.
2) Herbert Fritsche: Beiträge zur Oekologie der Land-Isopoden Groß-Berlins. Diss., Berlin 1936.
3) Max Westenhöfer: Der Eigenweg des Menschen. Berlin 1942.
4) Dr. Herbert Fritsche (1911 – 1960): Das Schicksal des Tieres (1954), Bl. 1. Das Manuskript befindet sich im Besitz des Verf.
5) Herbert Fritsche: Romanisches Café. In: Neue Deutsche Hefte Jg. 13, H. 3, 1966, S. 3 – 8.
6) Naturheilpraxis 1950, 3.
7) Dr. Herbert Fritsche: Das biologische und metabiologische Bild des Menschen als Sinnerfüllung der Naturheilkunst. In: Naturheilpraxis 4,1951,3, S. 50.
8) Anm. 7, S. 50.
9) Bernhard Aschner (Hrsg.): Paracelsus, sämtliche Werke, Bd. 1, S. 66, Jena 1926.
10) Anm. 9, S. 65
11) Anm. 9, S. 63
12) Anm. 7, S. 49
13) Anm. 1, S. 55
14) Herbert Fritsche: Festvortrag zur Feier des 200. Geburtstages von Samuel Hahnemann. Unveröffentlichtes Manuskript, Bl. 7, im Besitz des Verf.
15) Anm. 14, S. 8
16) Anm. 14, S. 9
17) Herbert Fritsche: Abenteurer wider Willen. Ein autobiographisches Fragment (1960). Manuskript im Besitz des Verf.

Anschrift des Verfassers:
Prof. Dr. h.c. Friedbert Ficker
August-Bebel-Str. 1a
08058 Zwickau



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