Arbeitsgemeinschaft für Klassische Akupunktur und Traditionelle Chinesische Medizin e.V.

36. TCM-Kongress in Rothenburg

750 Referenten und Besucher aus aller Welt (15 Länder waren vertreten) kamen in Rothenburg o.d.T. zusammen, um sich im schönen Rahmen des Kongresszentrums Wildbad vom 04.–08.05.2005 über Altersheilkunde auszutauschen. Im romantischen Ambiente des Art-Deco-Baus inmitten eines alten Parks am Ufer der Tauber trug nicht nur die hohe fachliche Qualität der Seminare, sondern auch eine ausgesprochen entspannte, freundliche Stimmung insgesamt zum Gelingen des mittlerweile größten Kongresses in Europa bei. Die regnerische Kälte war kein Hinderungsgrund für kollegialen Austausch, vielfältige Inspiration und komplexe, hintergründige Information, vielmehr schien im Zusammenrücken noch mehr Kraftentfaltung für die Chinesische Medizin zu liegen. Das Rothenburger Zusammenkommen von Teilnehmern, Referenten, Autoren, Lektoren, Verlagsvertretern, Apothekern, CM-Funktionären, Vertretern von CM-Krankenhäusern, Händlern und Herstellern unterstützt die gemeinsame Kraft, die wir brauchen, um die Chinesische Medizin qualifiziert zu fördern.

In der westlichen Welt und insbesondere in unserer heutigen schnelllebigen Zeit, in der der Jugend gehuldigt wird, so als könne man damit der eigenen Vergänglichkeit Einhalt gebieten, zählt das Alter nichts mehr. Die Lebenserfahrungen haben heute nicht mehr viel Wert und werden nicht geschätzt. Das erfahren gerade diejenigen in der Arbeitswelt, die mit ungefähr 50 Jahren in die Ecke gestellt werden, obwohl sie sich so sehr mit allen Tricks der Fitness-Industrie bemühen jung zu bleiben. Immerhin, die Industrie erkennt die Vorteile des Lebensalters, wenn vorerst auch nur als Wirtschaftsfaktor, denn trotz aller Budgetkürzungen – die Mehrheit der Alten verfügen über genügend Geld. Dass das Leben jedoch einen tieferen Sinn hat als den schönen Schein zu wahren, das lehren uns seit Jahrtausenden die östlichen Klassiker. Mit Hilfe ihres Wissens, basierend auf den Erfahrungen, die von Generation zu Generation weitergegeben wurden, können wir vielleicht dem heutigen, westlichen Menschen helfen, diesen letzten Abschnitt ihrer Lebenszeit ebenso als lebenswert zu erachten wie die vorangegangenen auch.

….Das Greisenalter ist eine Stufe unsres Lebens und hat wie alle andern Lebensstufen ein eigenes Gesicht, eine eigene Atmosphäre, eigene Freuden und Nöte…. Kurz gesagt: um als Alter seinen Sinn zu erfüllen und seiner Aufgabe gerecht zu werden, muss man mit dem Alter und allem, was es mit sich bringt, einverstanden sein, man muss „ja“ dazu sagen. Ohne dieses „ja“, ohne die Hingabe an das, was die Natur von uns fordert, geht uns der Wert und Sinn unserer Tage – wir mögen alt oder jung sein – verloren, und wir betrügen das Leben.
(Hermann Hesse „Lebenszeiten“)

Die Referate zum Thema Altersheilkunde umfassten die Therapie der altersspezifischen Erkrankungen, wie z.B. kardiovaskuläre Herzerkrankungen, aber auch Erkrankungen der Verdauungsorgane und des Bewegungsapparates bis hin zu Demenz, sowohl aus Sicht der Akupunktur als auch aus Sicht der Kräutermedizin. Darüber hinaus gab es jedoch Einblicke in Philosophisches, Gedanken zum Umgang mit Sterben, Sterbebegleitung und Tod. Die Seminartage wurden eingerahmt von den morgendlichen und abendlichen Qigong-Übungen.

Es folgt ein kurzer Überblick über die Veranstaltungen, der jedoch keinen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Eine umfassende Rückschau auf die einzelnen Seminare wird noch in verschiedenen Publikationen folgen.

Stephen Birch gehört – wie viele andere auch – zu den gern gehörten Lehrern des Rothenburg-Kongresses. Er referierte u.a. über Blut-Stagnation, ihre Zeichen und Symptome und wie diese mit den verschiedenen Formen der japanischen Akupunktur behandelbar sind. Das Konzept von „xueyu“ oder Blut-Stase wurde schon in der frühesten Akupunkturliteratur erwähnt und man entwarf ein genaues Modell der Blutzirkulation mit den diversen Störungen, die dabei auftreten können. Obwohl heutzutage mehr Gewicht bei der Behandlung von Blut-Stase auf die Kräutertherapie gelegt wird, gibt es aus seiner Sicht jedoch verschiedene gute Akupunkturmethoden um das Problem der Blut-Stase zu beheben.

Simon Becker sprach über die praktische Behandlung von kardiovaskulären Erkrankungen mit der chinesischen Medizin. Er präsentierte viele klinische Daten aus China und verglich moderne und klassische Rezepturmodifikationen für die Behandlung von Hyper – und Hypotension, Raynaud-Syndrom, Thrombose, Varikose, Thromboangitis obliterans, Arteriosklerose, Hyperlipidämie, Herzinsuffizienz, Myokarditis und Herzrhythmusstörungen einschließlich der Herzneurose.

Joan Duveen – ebenfalls schon häufig in Rothenburg – sprach über Tod und Trauerarbeit und in einem weiteren Workshop über die vier Schicksalssäulen, die aus der Philosophie der Stämme und Zweige rühren. Sowohl Kosmologie und Astronomie als auch der Kalender spielen eine wichtige Rolle in dem Verständnis der individuellen energetischen Konstitution.

Lillian Bridges erklärt den Kongress zu ihrer bevorzugten Jahresveranstaltung und hielt in diesem Jahr wieder einen vielbesuchten Kurs zur Antlitzdiagnostik. Sie gab wiederum wertvolle Einblicke in das Lesen eines Gesichtes und damit einen Zugang zum besseren Verstehen eines Menschen und welche Erfahrungen und Krankheiten ihre Linien in das Gesicht gezeichnet haben.

Auch Heiner Frühauf war wieder da mit seiner Vortragsreihe über die Kosmologie des Körpers. Diese Inhalte werden in einem weiteren Workshop, der vom 23.–25. Juni in Offenbach, im Ausbildungszentrum Mitte der AGTCM stattfindet, vertieft. Außerdem musste Heiner Frühauf seinen Lehrer, Prof. Wang Qingyu in einem Qigong-Seminar über Muskeln und Sehnen stärkendes Qigong vertreten, weil Prof. Wang aus Krankheitsgründen leider verhindert war zu kommen.

Am Samstag Nachmittag war Gelegenheit zur Diskussion über Wissenschaft und Forschung in der TCM. An dieser Podiumsdiskussion nahmen u.a. Prof. Thomas Ots, Stephen Birch, Benno Brinkhaus, Nils v. Below u.a. teil. (siehe Beitrag in der Ausgabe 7/2005 der Naturheilpraxis)
Hervorzuheben ist der Vortrag von Jürgen Voigt über seine, von der AOK, finanzierte Untersuchung über das Therapeuten-Patienten-Verhältnis in der Akupunktur. Durch Tiefen-Interviews versucht er und sein Team erst mal das Verhältnis zu beschreiben und dann Gesetzmäßigkeiten heraus zu arbeiten. Eine Veröffentlichung steht noch aus.

Damit auch europäische Besucher des Kongresses in den Genuss der brillant vorgetragenen Seminare von Barbara Kirschbaum kommen, hielt sie dieses Mal einen Kurs über Zungendiagnostik in englischer Sprache.

Außerdem gab es Seminare zur Pulsdiagnostik, gehalten von Sybill Huessen und Scott Tower. Sie widmen sich der Pulsdiagnostik nach Shen/Hammer, die neben den klassischen Pulstaststellen noch einige Komplemenärstellen gefunden haben. Diese Unterweisungen sind sehr praxisorientiert und es ging hier speziell um die drei Tiefen des Pulses, die verschiedenen Formen der Defizienz und die Diagnose der Störungen des mittleren Erwärmers.

Diane Tower-Jones aus London bat uns im Vorfeld darum Interviews im Rahmen eines Forschungsprojektes führen zu dürfen, sowohl mit Referenten als auch Besuchern des Kongresses über deren Verständnis von Sterben, Tod und Unsterblichkeit. Diese tiefen und berührenden Gespräche zeigten wie groß das Bedürfnis ist über die letzten Dinge des Lebens ernsthaft zu sprechen.

Gertrude Kubiena, die große alte Dame der europäischen TCM-Szene las an zwei Tagen während der Mittagspause aus ihrem heiteren Buch „Akupunktur in Versen“. Dies stellte ein kurzweiliges Intermezzo für die zuhörenden Kongressbesucher dar.
(Birgit Ziegler)

Berichte über Kurse und Workshops von Kursteilnehmern

David Euler: Die geriatrische Behandlung mit Japanischer Akupunktur

Heiner Frühauf: Der Himmel, die Klassik und die vier „himmlischen“ Organsysteme Herz, Dünndarm, Blase, Niere

Thomas Gefaell: Die Midlife-Krise der Männer

Wang Ling: Gesichts-Gua-Sha, eine Methode aus der Chinesischen Medizin zur Erhaltung und Pflege von Gesundheit und Schönheit

Arnaud Versluys: Deep Insight and Clinical Applicaion of the Shanghan Lun and Classical Acupuncture According the Six Channels in the Shanghan Lun

Ru Xie-Ritzer: Vorbeugung und Behandlung des Apoplex

Karl Zippelius: Stürze und Frakturen – Lebensbedrohung im Alter: Behandlungskonzepte der traditionellen Medizin

Weitere Kurse und Ausblicke

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Rothenburg 2006 wird unter dem Thema „Stress bewältigen – besser leben mit Chinesischer Medizin“ stehen und findet in der Zeit vom 24. bis 28. Mai statt und das bekannte internationale Dozententeam wird wieder dabei mitwirken.



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Naturheilpraxis 08/2005