FACHFORUM

Homöopathische Repertorisation symptomarmer Fälle

Von Jochen Schleimer

Die Bewertung der Symptome des Patienten zur Auffindung des homöopathischen Heilmittels wird von Hahnemann im ominösen Paragraphen 153 des Organon verbindlich beschrieben.

§ 153. Die auffallenden Symptome
Bei dieser Aufsuchung eines homöopathisch spezifischen Heilmittels*) sind allerdings die auffallenderen, sonderlichen, ungewöhnlichen und charakteristischen Zeichen und Symptome (88) des Krankheitsfalles besonders und fast ausschließlich ins Auge zu fassen. Denn besonders diesen müssen sehr ähnliche in der Symptomenreihe der gesuchten Arznei entsprechen, wenn sie die passendste zur Heilung sein soll.

Die allgemeinen und unbestimmten Symptome wie Appetitmangel, Kopfweh, Mattigkeit, unruhiger Schlaf, Unbehaglichkeit etc. verdienen in dieser Allgemeinheit, wenn sie nicht näher bezeichnet sind, wenig Aufmerksamkeit, da man so etwas Allgemeines fast bei jeder Krankheit und jederzeit sieht.

Bei der Anwendung des Paragraphen werden einige Dinge außer Acht gelassen:
Hahnemann repertorisierte ohne Repertorium aus der Kenntnis der gesamten Materia medica heraus. Jene hatte zu seiner Zeit nur etwa 74 geprüfte Mittel. Auch Bönninghausen kam mit nur 125 Mittel aus.
Heute stehen etwa 1000 geprüfte homöopathische Arzneimittel zur Verfügung und noch einmal etwa die gleiche Zahl unvollständig geprüfter. Besonders die indische Pharmakopoe hat zu einer immensen numerischen Bereicherung des homöopathischen Arzneimittelschatzes geführt.
Allerdings kann niemand mehr die Symptomenfülle all dieser Mittel auch nur annähernd überblicken.
Bedeutender ist jedoch der Umstand, dass zu Hahnemanns Zeit (1755 – 1843) die auslösenden Ursachen einer Erkrankung (z.B. Durchnässung) klar und oft eindeutig feststellbar war und den unterhaltenden Ursachen eine viel geringere Bedeutsamkeit zukam. Gänzlich unbekannt war Hahnemann die Fülle von Stress – assoziierten Störungen, die in der modernen Arbeitswelt eine so bedeutende Krankheit erzeugende und unterhaltende Rolle spielen.

Ebenfalls waren ihm die Komplikationen eines Falles durch andere Therapien unbekannt. Es gab zahlreiche Fälle von Unterdrückung, meist durch äußerliche Behandlung von Hautausschlägen, jedoch keine Mehrfachimpfungen oder Dauerbehandlung mit Hormonen, die einen homöopathischen Fall oft kaum lösbar machen.

Hahnemann kannte allerdings zahlreiche Krankheitsfälle, bei denen nur wenige und in der Regel uncharakteristische Symptome vorlagen. Meist gehören dazu die besonders gefährlichen Erkrankungen. So äußert sich ein Rektum-Ca oft nur in Blutauflagerungen auf dem Stuhl, einer Anämie und in einem Wechsel zwischen Obstipation und Diarrhoe.

Ein Kehlkopfkrebs bietet meist nur Husten und viele Ovarialkarzinome diagnostiziert der Orthopäde, weil die Knochenmetastasen als einziges Krankheitssymptom Kreuzschmerzen verursachten.

Noch frustrierender ist die Situation bei den meisten neurologischen Systemerkrankungen, wo praktisch nur pathognomonische Symptome zur Verfügung stehen.
Hahnemann nannte solche Krankheiten “Einseitige Erkrankungen”

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Literaturverzeichnis:
Bönninghausens Therapeutisches Taschenbuch, Sonntag Verlag, Stuttgart, 2000
Hahnemann, S.: Organon der Heilkunst, Ausgabe 6 B, Haug Verlag, Heidelberg, 1974
Lutze, A.: Lehrbuch der Homöopathie, Köthen, 1882
Schmidt, H.: Akupunktur, Hippokrates Verlag, Stuttgart, 1978

Anschrift des Verfassers:
Dr. med. J. Schleimer
Neurologe – Psychiater
Homöopathie – Naturheilverfahren
Waltramstr. 3
81547 München
Tel. 089 - 692 63 53
Fax 089 - 692 73 57



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