Schmerz und Depression aus neurobiologischer Sicht

Interview mit Privatdozent Dr. med. Harald Gündel, Oberarzt der Klinik und Poliklinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie im Klinikum Rechts der Isar der TU München

Das Gespräch führte für die Naturheilpraxis Dr. med. Hellmuth Schuckall

Herr Dr. Gündel, wenn ich Sie richtig verstanden habe, gilt Ihr wissenschaftliches Interesse dem Zusammenhang von körperlichen Phänomenen und Erscheinungen und dem dazu gehörigen Erleben.

Dr. G.:
Ja, genau so ist es. Letztlich geht es mir um den Nachweis der klinischen Erfahrung, dass nämlich unser Körper in seelischen Belastungssituationen eben auch rein körperlich reagieren kann. Letztlich zielt mein Interesse dahin, eine sogenannte Psychopathologie des Körpers besser verstehen zu lernen und dabei auch zu begreifen, wie es zu diesen komplexen Wechselwirkungen kommt. Wie funktioniert dieser rätselhafte Sprung vom Seelischen zum Körperlichen? Was sich daraus ergibt, ist natürlich auch die Frage, wie wir aus den Ergebnissen dieser Erkenntnisse in Zukunft therapieren werden.

Wie kann man denn in diesem Kontext den Schmerz begreifen und verstehen?

Dr. G.:
Schmerz ist sicherlich – und das auch in der großen Untergruppe der Menschen mit chronischen Schmerzen, der chronischen Schmerzpatienten – ein Warnsignal des Körpers. Ein Warnsignal, das uns signalisiert, dass das körperliche oder eben auch seelische Gleichgewicht eines Menschen gestört ist. Dabei ist wichtig zu wissen, dass seelische, aber auch körperliche Schmerzen im Gehirn in den gleichen Regelkreisen verarbeitet werden. Bei vielen Menschen kann das Gehirn nicht wirklich unterscheiden, ob es sich um einen seelischen Schmerz oder um ein körperliches Schmerzerlebnis handelt. Aus Gründen, die wir noch nicht kennen, scheint eine Reihe von Menschen prädisponiert zu sein, solche Unterscheidungen nicht treffen zu können. Es ist deswegen für den Therapeuten oder Behandler wichtig, stets im Hinterkopf zu halten, dass es eben Menschen gibt, die über diese Unterscheidungsfähigkeit nicht sicher verfügen. Es ist z.B. also durchaus vorstellbar, dass es zwar in gewissem Umfang Gewebeschädigung, d.h. einen gewissen organischen Schmerz gibt, dass dieser aber in verstärkter Weise wahrgenommen wird oder auch sogar generalisiert wird, in alle mögliche Körperregionen hinein, und dass es sich im Kern eigentlich eher um einen seelischen Schmerz handeln muss, der sich auf ein körperliches Korrelat aufgepfropft hat.

In der Praxis erleben wir ja häufig, dass Schmerz und Depression gewissermaßen zusammen auftreten, vor allen Dingen bei Menschen, die lange mit Schmerz zu tun haben.Ist es denn nicht gerade zwangsläufig, dass depressive Reaktionen auftreten müssen, wenn Menschen langdauernd unter schwerwiegenden Schmerzereignissen zu leiden haben?

Dr. G.:
Ja, wir wissen, dass diese Paarung klinisch sehr häufig zu beobachten ist. Aber sie ist nicht immer der Fall. Ganz generell kann man sagen, dass sowohl körperlicher Schmerz als auch Depression der gemeinsame Ausdruck eines Dritten sein können, nämlich eines sogenannten Di-Stresses. Darunter versteht man ein Ungleichgewicht des Organismus, eine negativ emotionale Verfassung/Reaktion, die sich eben mal mehr in der Form der Depression, aber auch in Angst oder anderen Symptomen äußern kann oder eben auch mal mehr im Schmerz. Die Frage bei diesem recht häufigen Zusammenwirken von Schmerz und Depression ist doch, was zuerst da ist, die Henne oder das Ei. Was kam zuerst. Eine Frage, die oft sehr schwer zu beantworten ist. Es ist richtig, dass sich die Dinge zwar gegenseitig beeinflussen, aber wahrscheinlich geht beides – wie gesagt – auf ein gemeinsames Drittes zurück.

Gibt es fassbare Kriterien, die eine Chronifizierung, bzw. die Chronifizierung einer solchen Situation fördern, bzw. bedingen?

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Privatdozent Dr. med. Harald Gündel ist Oberarzt der Klinik und Poliklinik für psychosomatische Medizin und Psychotherapie im Klinikum Rechts der Isar der TU München



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