Beim Frisör - Eine homöopathische Rätselgeschichte

von Elfi Sinn

Die Regenwolken hatten sich verzogen. Aber noch immer pfiff ein frischer Wind um das gemütliche, alte Haus, in dessen Erdgeschoss Frau Seeger seit mehr als zwanzig Jahren ihren Frisör-Salon führte. Viele ihrer Kundinnen, wie die an diesem Tag, kannte sie seit ihrer Schulzeit, war mit ihren Problemen und Geheimnissen vertraut. Während sie gerade Frau Igler für deren bevorstehende zweite Hochzeit kunstvoll frisierte, wurde die Eingangstür schwungvoll und weit aufgerissen. Kalter Wind durchflutete den Raum.

“Tür zu, es zieht fürchterlich.” Frau Cielinski, die in der Nähe der Tür saß, zog genervt ihre Jacke enger um sich. Zum Glück war es unter der Trockenhaube angenehm warm und ihre Nackenschmerzen waren gerade etwas besser geworden. Und jetzt dieser fürchterliche Luftzug, das würde ihren Rücken bestimmt wieder verschlimmern. Der Neuankömmling, Frau Lachner, lächelte bei dem Zuruf nur ironisch: “Meine Liebe, frische Luft hat noch keinem geschadet. Und hier ist Sauerstoff nötig, diese Hitze ist ja nicht auszuhalten.” Ihr Gesicht, das schon purpurrot angelaufen war, schien noch roter zu werden, als sie im Wartebereich Platz nahm. Frau Igler, in deren dunkles Haar Orangenblüten geflochten wurden, protestierte ebenfalls schon etwas genervt: “Ich bitte Dich, nicht jeder ist so robust gebaut, wie Du und läuft bei diesem Wetter ohne Schal durch die Gegend. Sensiblere Naturen spüren Belastungen eher und diese Kälte könnte tödlich sein. Gerade jetzt, wo ich so unter Stress stehe.” Bei diesen, etwas dramatischen Vorwürfen stahlen sich ein paar Tränen in ihre Augen, denn sie dachte an das Gerücht, das sie über ihren zukünftigen Mann gehört hatte. Wenn das wieder eine Enttäuschung werden sollte... Aber dann zwinkerte sie kurz die Tränen weg und biss sich auf die Lippe, um ihren Kummer zu unterdrücken.

Frau Seeger kannte die Streitigkeiten um Wärme oder Frischluft und versuchte zu vermitteln, indem sie ihre Kundinnen so platzierte, dass jede zufrieden war und schnell bedient wurde. Eigentlich konnte sie die Beschwerden über die Hitze nachvollziehen. Auch ihr machte in letzter Zeit die feuchte Wärme im Salon mehr zu schaffen. Sie dachte wehmütig daran, dass ihr vierzigster Geburtstag nun schon einige Jahre zurücklag. Und das herabdrängende Ziehen im Unterleib war auch stärker geworden. Das mussten wohl die unvermeidlichen Wechseljahre sein. Als sie dieses Thema anschnitt, brach eine regelrechte Flut los. Frau Sulter schon frisch frisiert, aber immer auf der Suche nach Zuhörern, saß noch im Wartebereich. Beim Thema Wechseljahre legte sie sofort ihre Zeitschrift zur Seite und klagte: “Am schlimmsten sind diese Hitzewallungen. Ich stehe im Geschäft und unterhalte mich ganz normal mit Kunden. Plötzlich spüre ich, wie ich rot werde, auch mein Körper scheint zu brennen. Aber dann bricht mir kalter Schweiß aus, ich zittere und fühle mich so schwach, dass ich den Laden am liebsten schließen würde.” Frau Lachner unterbrach sie: “Kalter Schweiß, das nenne ich noch Erleichterung. Bei mir ist es so, als würde ich mit kochendem Wasser übergossen und mein Gesicht leuchtet, wie die berüchtigte rote Laterne.” Es entspann sich eine lebhafte Diskussion darüber, wie übel Frauen in den Wechseljahren mitgespielt würde. Frau Conner beklagte neben der Hitzewallung die ständige Schwäche und auch die Schmerzen im Uterus. Frau Cielinski ihre häufigen Rückenschmerzen und die unvermeidlichen dunklen Stunden, die ihr Leben düster machten. Frau Seeger dachte mit Sorge an ihren Haarausfall, der mit Sicherheit auch nicht geschäftsfördernd war. Es war schon traurig selbst zu erleben, wie vergänglich Jugend und Aussehen eben sind.

Um die Stimmung der Kundinnen, die noch warten mussten aufzuhellen, bot sie Kaffee an. Aber dieser nett gemeinte Versuch, schuf neuen Raum für Klagen. Frau Igler protestierte: “Um Himmelswillen, nach Kaffee geht es mir doch noch schlechter.” Auch Frau Sulter wehrte kategorisch ab: “Ich kann nicht einmal den Geruch von Kaffee ertragen. Außerdem habe ich schon wieder Kopfschmerzen. Vielleicht liegt es daran, dass ich fix und fertig bin, vielleicht auch an etwas anderem. Aber man macht sich schon Sorgen, wenn sich das Gehirn anfühlt, als ob es locker sei.”

Auflösung:

Quellen:
Boericke, W. Homöopathische Mittel und ihre Wirkungen Materia Medica. Verlag Grundlagen und Praxis Leer 1994
Vermeulen, F. Synoptische Materia Medica. Kai Kröger Verlag für homöopathische Literatur Groß Wittensee 1996

Anschrift der Verfasserin:
Elfi Sinn
Heilpraktikerin
Steinmetzstr. 37
10783 Berlin



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