Blätter für klassische Homöopathie

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Klassische Homöopathie

Die Vorteile der homöopathischen Therapie bei Schwangeren und Stillenden

Von Werner Dingler

Auf vielen Beipackzetteln von Medikamenten finden wir Warnhinweise, dass diese Medikamente nicht bei schwangeren und stillenden Frauen angewendet werden sollen. Wie verhält es sich hiermit bei homoöpathischen Medikamenten?

Immer wieder geschieht es, dass eine Patientin im gebärfähigen Alter, welche sich wegen ihrer chronischen Krankheit in homöopathischer Therapie befindet, unerwartet schwanger wird. Sie fragt dann meist besorgt: “Muss ich das homöopathische Medikament nun absetzen?” Sofern wir wirklich homöopathisch verordnet haben und lege artis therapieren, können wir die Patientin beruhigen und ihr mitteilen, dass das homöopathische Medikament nicht nur keine Gefahr für sie und ihr ungeborenes Kind darstellt, sondern sogar eine Chance bietet, die Schwangerschaft gesünder durchzustehen. Dies hat schon der Begründer der Homöopathie beobachtet und beschrieben. Hahnemann schreibt im Anhang zum § 284:

“... ist die Besorgung der Mütter, in ihrer (ersten) Schwangerschaft, durch eine gelinde, antipsorische Cur, vorzüglich mittels der, in dieser Ausgabe beschriebenen, neuen Dynamisationen des Schwefels, unentbehrlich, um die fast stets bei ihnen vorhandene, schon durch Erbschaft ihnen mitgetheilte Psora, Erzeugerin der meisten chronischen Krankheiten, in ihnen und ihrer Leibesfrucht zu vertilgen, damit ihre Nachkommenschaft im Voraus dagegen geschützt sei. Dies ist so wahr, daß die Kinder so behandelter Schwangern gemeiniglich weit gesünder und kräftiger auf die Welt kommen, so daß jedermann darüber erstaunt...”

Auf den ersten Blick, d.h. ohne gründliches Nachdenken sieht es so aus, als würde uns Hahnemann hier ein Patentrezept für gesündere Nachkommen nennen, wobei er sonst nie müde wird, uns zu ermahnen, immer auf die genauen Umstände und Symptome zu achten, um eine homöopathische Arznei für den jeweiligen, individuellen Erkrankungsfall verordnen zu können. Wie sollen wir Hahnemann also verstehen, wenn er uns Sulfur als eine Arznei für Schwangere in der ersten Schwangerschaft empfiehlt?

In seinen umfangreichen Schriften führt Hahnemann Sulfur als das Hauptantipsorikum auf. Ebenso führt er die meisten chronischen Erkrankungen auf die Psora zurück (s. stellvertretend für viele andere Stellen CK Bd. 1, S. 119 sowie Organon 6. Aufl., § 80). Die Schwangerschaft an sich stellt keine Krankheit dar, doch kann sich mit der Schwangerschaft eine latent vorhandene Psora aus ihrem Latenzstadium erheben und entsprechende Beschwerden verursachen (s. CK Bd. 1, S. 172f.). Weiter führt Hahnemann aus, dass die Psora ganz im Anfangsstadium allein mit Sulfur therapiert werden kann (s. Organon, 5. Aufl., Anm. zu § 246, S. 263 und CK Bd. 1, S. 131). In Fällen, in denen die Psora schon aus ihrem Latenzzustand in einen manifesten Zustand übergegangen ist, benötigen wir in der Regel mehrere nacheinander anzuwendende Arzneimittel, jeweils dem individuellen Stand der Krankheit angepasst. In komplexeren, mehrmiasmatischen Erkrankungen ist dies ebenfalls der Fall (s. Organon, 6. Aufl., § 171). Das heißt, dass die Therapie mit Sulfur nur bei Erstschwangeren, welche relativ gesund, allenfalls latent psorisch krank sind, ausreichend ist. Das zeigt sich auch in der Praxis, indem die schönsten Heilerfolge mit Sulfur sich dort zeigen, wo die Psora allein zugegen ist und sich noch nicht zu weit entwickelt hat. Mit der vor ca. 30 Jahren empfohlenen Eugenischen Kur durch die Nosoden Carc., Med., Psor. und Syph., jeweils im Abstand von mehreren Wochen während der ersten Schwangerschaft gegeben, habe ich keine guten Erfahrungen gemacht. Homöopathie ist nicht die Anwendung potenzierter Arzneien nach irgendeiner Methode, mag sie auch noch so ausgeklügelt sein, sondern die Anwendung potenzierter Arzneien nach individualpathologischen Symptomen des Kranken unter Berücksichtigung der Dosis und Miasmatik. Nicht ohne Grund fordert Hahnemann uns auf, “macht’s nach, aber macht’s genau nach”. Dass die Befolgung seiner Lehre uns mit teilweise an Wunder grenzenden Heilerfolgen beglückt, soll die folgende Kasuistik demonstrieren.

Fall 1

Die in der 29. Woche schwangere, 37jährige N.G. (IV-gravida, II-para), wünschte eine homöopathische Therapie wegen eines seit einer Woche quälenden Reizhustens, da sie konventionelle Medikamente wegen ihrer Schwangerschaft nicht einnehmen wollte. Sie berichtete, dass sie als Risikoschwangere gelte, da es durch eine Placenta praevia partialis bis totalis seit der 10. SSW. immer wieder zu Blutungen komme. Außerdem habe sie bereits zwei Fehlgeburten gehabt, eine in der 8. und eine in der 11. SSW. Obwohl sie von drei Gynäkologen untersucht und beraten worden sei, sei sie sehr verunsichert. Zwei von den drei Ärzten hätten zunächst von einem drohenden Abort, inzwischen von einer drohenden Frühgeburt gesprochen und rieten ihr zu einer Lungenreifungstherapie mit Cortison. Der dritte Arzt, welcher sie intensiver untersucht habe, schätze das Risiko nicht ganz so hoch ein, da sie momentan keine Blutung und keine Wehen habe. Außerdem arbeite die Placenta trotz ihrer Lage gut und das Kind sei ausreichend versorgt. Sie spüre zwar ab und zu kurz ein Ziehen oder Stechen im Bauch, abends werde dieser auch schon mal hart, sie wisse nicht wie sie sich verhalten solle, tendiere jedoch dazu, dem 3. Arzt zu vertrauen, die beiden anderen hätten sie nie so genau untersucht. Durch ihren Reizhusten habe sie jedoch große Angst, das Kind zu verlieren, da die heftigen Erschütterungen auch zu unwillkürlichem Urinabgang führten. Sie könne sich nicht vorstellen, dass das lange gut gehe. Ich bat sie mir den Husten genau zu schildern und erfuhr, dass ein permanenter Hustenreiz im Kehlkopf sie Tag und Nacht quäle und auch am Schlaf hindere. Auch während der Anamnese gab es kaum eine Minute, in der sie nicht vom Husten geschüttelt wurde. Sie gab an, dass das Sprechen den Reiz zum Husten noch verstärke, ebenso wie Aufenthalt in trockener Luft. Frische und vor allem feuchte Luft lindere den Hustenreiz. Im Kehlkopf habe sie ein trockenes und kratziges Gefühl. Trinken beruhige den Hustenreiz kurz, am besten helfe Thymiantee mit Fenchelhonig. An Medikamenten habe sie die letzten Tage ohne Erfolg Bronchicum Elexir S und Ambroxol eingenommen. Der Husten gehe manchmal bis zum Würgereiz, sie habe aber bisher nicht erbrochen. Durch die ständigen Erschütterungen habe sie nun seit 2 Tagen auch anhaltende Kopfschmerzen. Sie könne nicht schlafen, der Husten zwinge sie immer wieder zum Aufsitzen, weshalb sie völlig erschöpft sei und ihrem Ehemann und Sohn gegenüber gereizt und ungeduldig reagiere, endete die Patientin ihren Spontanbericht.

Befund: Belegte Zunge, Halsschleimhaut rot und geschwollen, etwas Schleimansammlung, raue Stimme, Lunge o.B., Vesikuläratmen.
Aufgrund der oben geschilderten Beschwerden und Symptome (s. Rep. A) verordnete ich der Patientin Caust. Q6 3 Trpf. in 100 ml H2O, davon 1 /2 Messlöffel (im weiteren “Messl.”) einzunehmen, zunächst 3x/die, bei einsetzender Besserung 1x 1 Messl./die und bestellte sie eine Woche später zur Kontrolle ein.

Therapieverlauf:
Eine Woche später erfuhr ich telefonisch, dass die Patientin die Tropfen wie verordnet eingenommen und der Husten rasch gebessert habe und inzwischen völlig verschwunden sei. Es gehe ihr wieder gut, sagte die über die Besserung erfreute Patientin.

Verordnung: Caust. Q6 3 Trpf. 1 1/2 Messl. jeden 2. Tag.

...

(Fortsetzung folgt mit Fall 3)

Literaturangaben:
Hahnemann, Samuel: Organon der Heilkunst, 5. Aufl. Heidelberg. 1987.
Hahnemann, Samuel: Organon der Heilkunst, 6. Aufl. Heidelberg. 1996.
Hahnemann, Samuel: Die chronischen Krankheiten (CK), Heidelberg. 1979.
Kennt, James T.: Repertorium der homöopathischen Arzneimittel, 13. Aufl., Heidelberg. 1993.
PC-Repertorisationsprogramm Com Rep ML (Dipl. Ing. Franz Simbürger, Eching).

Anschrift des Verfassers:
Werner Dingler
Schottenstr. 75
D-78462 Konstanz



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