Räuchern zur Weihnachtszeit

von Christian Rätsch

In der Weihnachtszeit duftet es sehr!

Wir entzünden Räucherkegel in den beliebten Räuchermännchen aus dem Erzgebirge. Wir verbrennen Julblöcke und beräuchern Haus und Hof mit Weihrauch und Wacholder. Wir dekorieren unsere Zimmer mit Würzbüscheln und Zimtsternen. Wir basteln Duftkugeln aus Apfelsinen, in deren Schale wird Gewürznelken stecken. Wir träufeln spezielle Weihnachtsmischungen aus ätherischen Ölen auf die Duftlampe. Beim Backen von Pfefferkuchen duftet das ganze Haus typisch nach Weihnachten. Wir erzeugen eine olfaktorische Atmosphäre, die wir als den typischen Weihnachtsduft erkennen. Warum?

Duftendes Räucherwerk, aromatische Würzgerüche und orientalische Düfte gehören seit alters her in unser Weihnachtsbrauchtum.

Der weihnachtliche Gebrauch von Räucherwerk hat eine lange Geschichte, die ihre Wurzeln in der heidnischen Zeit haben. In deutschsprachigen Gebieten gehört das Räuchern zu den Bräuchen der Weihnachtszeit. Im deutschen Sprachraum gibt es zwei Traditionen des Räucherns, die direkt mit der Weihnachtszeit verbunden sind. Das Räuchern in den Rauhnächten und der Brauch der Räuchermännle.

Das Räuchern ist ein ursprünglich heidnisches Element in unserem heutigen Weihnachtsbrauchtum. Die heidnische Weihnachtszeit kennen wir unter dem Begriff der “Rauhnächte” (vgl. Madejsky 2003). Die Rauhnächte beziehen sich auf die 12 Nächte um die Wintersonnenwende. Es heißt, in dieser “Zeit zwischen den Jahren” stehen die Tore in andere Welten offen. In dieser rauhen Zeit besuchen uns die Seelen der Ahnen, Wotan und das wilde Heer stürmen über die Wolken, die Perchten schleichen um die menschlichen Siedlungen, die Hexen feiern ihren Sabbat, Burschen und Mädchen suchen nach Partnern, die Zukunft wird in Orakeln befragt. Um die Ahnen zu speisen, Wotan und sein wildes Gefolge gnädig zu stimmen, Haus und Hof vor Geistern und Dämonen zu beschützen, Zauberspuk und Hexenwerk zu bannen, Liebespartner anzulocken und zukünftige Geheimnisse zu erkunden, benötigen wir Weihrauch. Denn der Rauch von Weihrauch ist eine geistige Speise andersweltlicher Wesen.

Das deutsche Wort Weihrauch bedeutet in erster Linie Rauch zum Weihen oder Rauch, der geweiht ist. Spezieller ist damit der aromatische Rauch gemeint, der sich beim Verbrennen oder Verglühen eines Räucherstoffs, also einer Substanz, die zum Zwecke des Rauches durch Feuer transformiert wird, im Raum verbreitet.

Im modernen Sprachgebrauch ist “Weihrauch” meist gleichbedeutend mit Räucherstoff oder Räucherwerk. Meist wird das Wort aber mit den Räucherstoffen der katholischen Kirche assoziiert, obwohl das Räuchern keine christliche Erfindung ist, sondern ganz archaisch in allen Teilen der Welt von statten ging.

Manchmal wird mit Weihrauch jedes zum Räuchern geeignete Harz bezeichnet. Dann gibt es da noch den Echten Weihrauch; damit ist gewöhnlich das Olibanum (das Harz von Boswellia spp.) gemeint, das bedeutendste Räucherharz des Altertums. Im Deutschen heißt das Fichtenharz (Burgunderharz) volkstümlich “Wilder Weihrauch” (vgl. Rätsch 2004b).

Die Worte Weihrauch und Weihnachten leiten sich von weihen oder geweihtes ab. Das althochdeutsche Verb wîhen wurde aus dem Adjektiv weich, “heilig”, das im 16. Jahrhundert ausgestorben ist, abgeleitet. “Weihrauch” geht zurück auf mittelhochdeutsch wî(h)rouch und althochdeutsch wîhrouch mit der Bedeutung “heiliger Rauch” zurück. Unser Wort “Weihnachten” leitet sich von dem mittelhochdeutschen Weiheakt ab und ist erstmals für die zweite Hälfte des 12. Jahrhundert, also der Zeit Hildegard von Bingens, belegt. Mit Weihrauch “Geweihte Nächte”!

...

Literatur:
- Früh, Sigrid, 2000 Rauhnächte: Märchen, Brauchtum, Aberglaube (6. Aufl.), Waiblingen: Verlag Stendel.
- Madejsky, Margret, 2003, “Rauhnachtsbräuche”, Naturheilpraxis 56(12): 1706-1711.
- Rätsch, Christian, 2004a “Glückspilze zum neuen Jahr! Der Fliegenpilz als Symbol”, Naturheilpraxis 57(1): 56-59.
- 2004 Weihrauch und Copal, Baden und München: AT Verlag.
- Rätsch, Christian und Claudia Müller-Ebeling, 2003 Weihnachtsbaum und Blütenwunder: Geheimnisse, Herkunft und Gebrauch traditioneller Weihnachtspflanzen, Aarau und München: AT Verlag.

Alle Dias: C. Rätsch

Anschrift des Verfassers:
Christian Rätsch
Birckholzweg 17
22159 Hamburg
Tel. 040 - 644 97 67
Fax 040 - 64 49 26 70



weiter ... (für Abonnenten der Naturheilpraxis)


Zum Inhaltsverzeichnis 12/2004

Naturheilpraxis 12/2004