Tinnitus aus der Sicht der Chinesischen Medizin

von Claudia Skopalik

Tinnitus (er3 ming2);
Synonym: Grillenzirpen in den Ohren. Nicht objektiv darstellbares Geräusch in Form von Klingeln, Summen oder Brausen in den Ohren. Man unterscheidet zwischen Fülle und Mangel. Füllemuster werden mit dem Auflodern von gegenläufigem Leberfeuer oder von Feuer und Schleim assoziiert. Mangelmuster werden mit einer Nieren Yin Schwäche oder einem Absinken des Zentral-Qi in Verbindung gebracht. Im Falle eines Füllemusters setzt der Tinnitus rasch ein und ist durch Froschquaken oder dem Geräusch von Meeresrauschen gekennzeichnet. Bei Mangelmustern berichtet die/der Betroffene von Grillenzirpen oder Flöten- oder Pfeiftönen.
(Übersetzung der einschlägigen Passagen der 2. Ausgabe des Practical Dictionary of Chinese Medicine, von Nigel Wiseman und Feng Ye, Paradigm Publications, Brookline, Massachusetts,1998.)

Etwas akustisch nicht zur Kenntnis nehmen wollen, kann ja auch auf eine sehr starre Einstellung zum Leben hindeuten, was in etwa innerhalb der chinesischen Medizin dem Bild des Füllemusters entspricht, bei dem tatsächlich eine emotionale Belastung den Qifluss zum Stillstand bringt.

Der Kern des vorliegenden Artikels gibt ein Lehrgespräch am runden Tisch wieder, zwischen einem Experten und seinen Adepten. Ich habe ganz bewusst diese Vorlage ausgewählt, weil sie so eindrucksvoll schildert, dass eine gewisse Unvoreingenommenheit in Bezug auf die Methode und das beherzte Umsetzen der therapeutischen Prinzipien manches mal bessere Therapieerfolge zu zeitigen scheint, als ein sehr intensiver Einsatz von Geräten.

Rund um den Tinnitus

Ein Lehrgespräch mit Prof. Dr. Hu Jin Sheng

Übersetzung: Claudia Skopalik

Klinischer Fall

Am 8. Mai 2002 suchte Herr B. H., ein 49 Jahre alter Ingenieur, der für ein Unternehmen in Decca, der Hauptstadt von Bangladesh, arbeitete uns zum ersten Mal auf. Er klagte über Tinnitus, der bereits seit über einem Jahr anhielt, mit einer Einschränkung der Hörleistung einherging und Schlaf und Arbeit beeinträchtigten. Das Problem hatte ihm psychisch derart zugesetzt, dass er öfters seinen Trost im Alkohol suchte, meist trank er Whiskey.

In einem Krankenhaus westlicher Ausprägung hatte man bei ihm Tinnitus nervösen Ursprungs diagnostiziert, der allerdings ohne rechten Erfolg mit oral verabreichten Medikamenten behandelt worden war. Deshalb versuchte er es nun mit einer Akupunkturbehandlung.

In der Erstvisite wurden an ihm folgende Symptome beobachtet: Apathie, allgemeine Schwäche und Tinnitus, der sich bei Überarbeitung verschlimmerte. In seinem Beruf als Ingenieur musste der Patient viele Zeichnungen entwerfen, außerdem schrieb er Gedichte und Artikel für Zeitungen und Zeitschriften. Der Tinnitus wurde auch stärker, wenn er intensiv nachdachte. Die intermittierend auftretenden Tinnituskrisen wurden von einer beidseitig verminderten Hörfähigkeit und Gefühl der Blockade begleitet, die auch den Schlaf beeinträchtigten. Ferner litt er an Appetitlosigkeit, weichem Stuhl, Schwächegefühl im untern Rücken und gelegentlicher Spermatorrhoe. Der Patient war leicht adipös, apathisch, psychisch unauffällig. Der Blutdruck lag bei 130/80 mmHg, Pulsfrequenz von 80 Schlägen in der Minute, Herz-und Lungenfunktion ohne Befund. Von Seiten der chinesischen Medizin betrachtet war der Patient emotional belastet, mit blassem Gesicht, blasser Zunge mit dünnem, weißem Belag und einem tiefen, schwachen Puls.

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Naturheilpraxis 11/2004