Die Gesetzmäßigkeiten im Menschen und der Welt erkennen:

I Ging und chinesische Medizin

von Miriam Tang

Das Buch fasziniert die Menschen seit über 5000 Jahren und lässt sie bis heute nicht los. Das I Ging oder auch “Buch der Wandlungen” genannt gilt als das älteste, vollständig überlieferte Werk der Menschheitsgeschichte. Ob Taoismus, Konfuzianismus oder chinesische Medizin – in ihm liegen die Wurzeln der chinesischen Philosophie. Der berühmte chinesische Arzt Sun Simiao aus dem 7. Jahrhundert sagte gar: “Wenn du das I Ging nicht studierst, kannst Du die Heilkunst nicht verstehen.”

Auch heutzutage wissen Heilpraktiker und Ärzte der chinesischen Medizin das I Ging zu nutzen, um ihr Verständnis der Heilkunde zu vertiefen und Krankheitsabläufe besser zu verstehen. Das I Ging hilft Behandler und Patienten, sich mit der jeweiligen Lebensführung und dem Krankheitsprozess auseinander zu setzen, um hinter den Schmerz zu schauen.

So kam eine Patientin mit rechtsseitigem Hüftschmerzen ohne organischen Befund in die Krefelder Praxis. Die Zungendiagnose zeigte geschwollene Zungenränder. Im weiteren Anamnesegespräch kamen Beziehungsprobleme mit ihrem Mann zur Sprache. Die Frau fühlte sich seit Jahren von ihrem Partner unverstanden, der Zorn schien geradezu in ihr zu kochen. Während der Arzt nach der chinesischen Medizin eine Leber-Fülle diagnostiziert, spricht das I Ging von einer Situation, in der das Trigramm Donner unter dem Trigramm Feuer steht (Hexgramm 21, Das Durchbeißen). Beide Sichtweisen deuten auf einen Prozesse hin, in der die angestaute Energie des Donners unterdrückt wird und sich nicht entladen kann. Die Patientin musste sich erst bewusst werden, welche große Wut sie hatte und wie diese Emotion (ex-motio = aus dem Körper Herausbewegtheit) sich in ihrem Körper niedergeschlagen hatte. Nach einigen Akupunktursitzungen fühlte sie, wie der Zorn in ihr hochkam, sie konnte ihn rauslassen und die Hüftschmerzen besserten sich.

Das I Ging zeigt die Dynamik der ständigen Veränderung im gesamten Kosmos – seien es die Jahreszeiten, die Lebensphasen eines Menschen oder eben auch der Verlauf einer Krankheit. Wie auch in der chinesischen Medizin beschreiben die Chinesen im I Ging alle Vorgänge mit den Grundbausteinen Yin und Yang. “Alles ist im Wandel: Es steigt empor, reift, wächst, erreicht den Höhepunkt, verfällt und stirbt”, sagt der I Ging-Experte Hubert Geurts. Alles Leben beginnt mit der Vereinigung des Weiblichen und Männlichen: Yin und Yang stehen für Frau und Mann, für dunkel und hell, für Ruhe und Aktivität, für Nacht und Tag, für Tod und Geburt. Diese beiden Prinzipien stehen sich jedoch nicht polar gegenüber, sondern bilden eine Einheit. Yin kann nicht ohne Yang sein – und umgekehrt. Letztendlich gehören sie zusammen. Es gibt keinen Tag ohne die Nacht, keinen Sommer ohne einen Winter. Und wir können sicher sein, dass der Sommer eines Tages wieder kommen wird. Das heißt aber auch, wenn es gerade am schönsten ist, zeigen sich bereits die ersten Verfallserscheinungen.

Beim I Ging finden wir Yin in einem unterbrochenen Strich, Yang in einem durchgezogenen. Durch verschiedene Kombinationen dieser Striche haben die Urheber des I Ging acht Naturbilder beschrieben, wie sie überall im Kosmos vorkommen. Im Buch der Wandlungen heißen diese Naturbilder Trigramme und bestehen aus drei übereinanderstehenden Strichen: Die Trigramme Himmel, Wind, Wasser, Berg, Erde, Donner und Feuer verkörpern jeweils Energiezustände oder Phasen eines Prozesses. So steht Himmel mit drei durchgezogenen Strichen für das Schöpferische, das wie ein Vater inspiriert und gleichzeitig fordert. Die Erde mit drei unterbrochenen Strichen hingegen ist das Empfangende, das wie eine Mutter nährt und stützt.

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Anschrift der Verfasserin:
Miriam Tang
Uedesheimer Str. 36
40221 Düsseldorf



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