von Roger Rissel
Überarbeitete Fassung des Vortrags beim 10. Therapeutentreffen 2004 der DGKH in Moos.
Zusammenfassung
Im Spätwerk Hahnemanns nimmt der Begriff Lebenskraft einen zuvor nicht gekannten großen Raum ein, der sich bis heute in der Homöopathie erhalten hat. Dem steht die auf Phänomenen gegründete Homöopathie gegenüber, die rational, nach deutlich einzusehenden Gründen vorgeht. Diese Diskrepanz aufzuzeigen und aufzulösen ist das Thema des Artikels. Aus den Ergebnissen ergeben sich interessante Konsequenzen.
Schlüsselwörter
Lebenskraft, Hypothese, Organon Synopse, Hahnemann, Constantin Hering
Einleitung
In schwierigen Fragen, die theoretische Aspekte der Homöopathie betreffen, bedienen wir Homöopathen uns gerne des Begriffs der Lebenskraft, um uns Lösungen anzunähern. Ich möchte hier an die Erstwirkung und Nachwirkung als Phänomene bei der Arzneimittelprüfung erinnern. Auch die Frage nach der Wirksamkeit der höheren Potenzstufen erklären wir gerne damit, dass die nicht mehr stofflichen Arzneigaben auf die nicht stoffliche Lebenskraft einwirken.
Der Lebenskraft stehen die Phänomene gegenüber, auf die sich die Homöopathie gründet und mit denen Hahnemann eine rationelle Heilkunde definiert.
Im Paragraphen 2 des Organons (3) lesen wir, dass Homöopathie eine Methode der Arzneibehandlung ist, die zuverlässig und nach deutlich einzusehenden Gründen, also rationell vorgeht.
Der Heilkünstler benötigt dazu einmal die Erkenntnis dessen, was an jedem Krankheitsfalle zu heilen ist. Als Zweites benötigt er Kenntnisse über die Wirkungen der Arzneien. Drittens muss er eine Arznei auswählen können, die eine Krankheit heilkräftig beeinflussen kann. Damit die Arznei dies vermag, muss er richtig dosieren und Heilhindernisse erkennen und beseitigen können, heißt es weiter im § 3 des Organons (3).
Die Homöopathie gründet sich somit auf die Phänomene, dass Krankheiten sich in Krankheitssymptomen des Patienten zeigen, ebenso Arzneien ihre Wirkkräfte in Form von Krankheitssymptomen bei Vergiftungen oder bei der Prüfung am Gesunden zu erkennen geben und bei sachgerechter homöopathischer Anwendung zu schneller, sanfter und dauerhafter Heilung führen.
In welchem Verhältnis steht die Lebenskraft zu den Grundlagen der Homöopathie?
In Gesprächen mit Kollegen und in Fachartikeln fällt auf, dass der Lebenskraft eine große Bedeutung zugemessen wird. Sie wird zur Erklärung der Homöopathie in einer Weise eingesetzt, dass häufig das eigentliche Gesicht der Homöopathie unkenntlich wird.
Bevor wir uns der Fragestellung nach dem Stellenwert der Lebenskraft in der Homöopathie Hahnemanns genauer zuwenden, wollen wir den Begriff näher beleuchten.
Lassen wir zuerst Constantin Hering zu Wort kommen, der sich mit unserem Thema schon auf eine Weise beschäftigt hat, die uns weiterhelfen kann.
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Anmerkungen
1) Stapf 1838, Bd. 16, Heft 3, 87-93
2) Wischner 2002, 13
3) Brockhaus 1990, Bd. 13, 117
4) Brockhaus 1994, Bd. 23, 384
5) Luft/Wischner 2001, 256 ORG 1
6) Luft/Wischner 2001, 258 ORG 1
7) Luft/Wischner 2001, 270, 272 ORG 1
8) Luft/Wischner 2001, 274 ORG 1
9) Luft/Wischner 2001, 522, 523 ORG 1-6
10) Luft/Wischner 2001, 754 ORG 6
11) Luft/Wischner 2001, XI
12) Schmidt 1990, 6
Literatur:
(1) Brockhaus: Enzyklopädie in 24 Bänden, 19., völlig neubearb. Aufl. Mannheim: Brockhaus (Bd. 13 1990, Bd. 23 1994)
(2) Genneper/Wegener: Lehrbuch der Homöopathie, 1. Aufl., Heidelberg: Haug, 2001
(3) Hahnemann, S.: Organon der Heilkunst, Textkritische Ausgabe der 6. Aufl., Neuausgabe, Heidelberg: Haug, 1999
(4) Luft, B. /Wischner, M.: Samuel Hahnemann Organon Synopse, Die 6 Auflagen von 1810 1842 im Überblick, Heidelberg: Haug, 2001
(5) Schmidt, Josef, M.: Die philosophischen Vorstellungen Samuel Hahnemanns bei der Begründung der Homöopathie (bis zum Organon der rationellen Heilkunde 1810), München: Johannes Sonntag Verlag, 1990
(6) Schmidt, Josef, M. /Kaiser, D. (Hrsg.): Samuel Hahnemann: Kleine medizinische Schriften, Heidelberg: Haug, 2001
(7) Stapf, E. (Hrsg.): Archiv für die homöopathische Heilkunst, Leipzig: Reclam, 1822-1848
(8) Wischner, M.: Fortschritt oder Sackgasse? Die Konzeption der Homöopathie in Samuel Hahnemanns Spätwerk (1824-1842), erster Nachdruck (2001) Essen: KVC Verlag, 2000
(9) Wischner, M.: Organon für Anfänger, Essen: KVC-Verlag, 2002
Anschrift des Verfassers:
Roger Rissel
Friedrich-Naumann-Str. 24
55131 Mainz
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