Arbeitsgemeinschaft für Klassische Akupunktur und Traditionelle Chinesische Medizin e.V.

YU- oder Stagnationssyndrom

Von Steven Clavey

Übersetzung von Bettina Brill

Yu, oft als Depression übersetzt, hatte ursprünglich folgende Bedeutung: 1) Dickicht, undurchdringlicher Wald, Nebel oder Fluss, 2) Melancholie und Kummer oder 3) Vermoderungsgeruch von Holz und Pflanzen. Das moderne Kurzzeichen stand ursprünglich für: 1) wissenschaftliches Auftreten, 2) intensives Parfüm 3) erdrückende Hitze oder 4) dichter, undurchdringlicher Nebel.

Das moderne Kurzzeichen wird heutzutage für beide Bedeutungen benutzt. Im Su Wen taucht der Ausdruck Yu im Kapitel über "Stagnation im Brustkorb" auf: „Jede Verknotung von Qi mit Völlegefühl wirkt sich auf die Lunge aus“ (Kap. 74).

Im Shang Han Lun wird Yu in Verbindung mit unbeweglichen Massen/Resistenzen erwähnt: „Ein gerötetes Gesicht bedeutet, dass das Yang-Qi an der Oberfläche gestaut ist (fu yu)“ (Klausel 48).

In der modernen Chinesischen Medizin ist das Yu-Syndrom ein durch Frustration verursachter Qi-Stau. Dieser Stau kann zu Blutstase, Schleimverknotungen, Nahrungsstagnation, gestauter Hitze/Feuer und letztendlich einer Disharmonie zwischen den Zang Fu – Organen führen. Nach Ansicht von Deng Shou Qian (1889 – 1969), ein bekannter, moderner Arzt und Autor, ist Yu nicht ein spezifischer Begriff für eine bestimmte Krankheit, sondern der Ursprung aller Krankheiten. Wang An-Dao (1332 – ?), berühmter Schüler Zhu Dan Xis, war gleicher Meinung: „Jede Krankheit beginnt mit Yu. Yu ist Behinderung und Bewegungsunfähigkeit (zhi er bu tong).“

Statt Yu mit Depression/ Passivität zu übersetzen, scheint der Begriff Frustration im Sinne von von Stau und Bewegungseinschränkung passender zu sein.

Auf emotionale Veränderungen zurückzuführende, pathologische Störungen des Qi-Flusses sowie die Therapieverfahren für die „fünf Yu“ werden im Su Wen (Kap. 39 & 71) erwähnt. Ein wichtiges, heute noch angewandtes Therapieverfahren ist: "Staugantion des Holzes – das Holz-Qi muss bewegt werden." Zhu Dan Xi erweiterte dieses Konzept: „Wenn Qi und Blut harmonisch fließen, kann es keine Krankheit geben. Sobald Frustration und Stagantion (fu yu) auftreten, entstehen Krankheiten.“

Der Zusammenhang zwischen Gemüt, Qi-Stagnation und Blutstase wurde breits zu diesem Zeitpunkt erkannt. Auf dieser Basis entwickelte Zhu Dan Xi seine Theorie der „sechs Yu: ursprünglich eine Qi-Stagnation, die zur Ansammlung und Stagnantion von Nässe, Schleim, Hitze, Blut und Nahrung führt.

Zhang Jing Yue differenzierte zwischen äußeren und inneren Ursachen: „äußere Faktoren können durch die Krankheiten, die sie verursachen, zu Yu führen. Emotionale Faktoren erzeugen erst Yu und dann Krankheiten.“ Er unterschied zwischen 1) durch Wut (nu), 2) durch Grübeln (si) und durch Kummer (you) verursachtes Yu. Er beschrieb die Auswirkungen und Symptomatik, wobei er einen Unterschied zwischen den Geschlechtern machte und gab detaillierte Therapieanweisungen.

Der folgende Artikel basiert auf Zhu DanXis Theorie der sechs Yu, konzentriert sich aber auf die emotionalen Ursachen, die Qi-Stagnation und die daraus resultierenden Symptome.

Differenzierung und Therapieverfahren

I. Shi/Fülle-Syndrome

Stagnation und Verknoten des Leber-Qi

II. Xu/Leere-Syndrome

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1 Lin Zheng Zhi Nan Yi An (Medizinische Aufzeichnungen als Ratgeber für die Praxis),Ye Tian-Shi, 1766. Shanghai Science and Technology Press, 1991, S.406.
2 Dies ist ein schwierig zu übersetzender Ausdruck, der meist ohne weiterführende Erklärungen weggelassen wird. Er ist in modernen Textbüchern nicht enthalten und auch nicht in alten Ben Cao Texten aufzufinden. Die wortwörtliche Übersetzung bedeutet: "neues Dunkelrot". Selbst die Kommentatoren des Jin Gui Yao Lue nennen es einfach "Xin Jiang". Nach zwei Stunden Suche fand ich den Namen endlich in dem Ben Cao Bei Yao, in dem zu lesen ist: „Xin Jiang stillt Blutungen und regt das Blut an. Ein großer, roter Hut oder Vorhang (Stoff). Diese wirken auf das Blut und führen so zu einem Resultat.“ In der englischen Übersetzung des Jin Gui (Yao Lue) wird auf Seite 149 erwähnt, dass Tao Hong Jing der Ansicht war, man solle hier Qian Cao Gen (Rubiae Cordifolae, Radix) verwenden, was durchaus Sinn macht.
3 Zhen Jiu Da Cheng (Das große Kompendium der Akupunktur und Moxatherapie), Yang Ji-Zhou, 1601. Peoples Health Press, Beijing, 1984, S.1227.
4 Qing Dai Ming Yi Yi An Jing Hua (Ausgewählte Fallstudien berühmter Ärzte der Qing Dynastie), Qin Bo-Wei, 1928. Shanghai Science and Technology Press, 1995, S. 300-301.

Dieser Artikel wurde im (englischen Originaltext) im ACMERC Journal, Vol.2, No 6, June 1997 veröffentlicht.
Von Steven Clavey. Übersetzung von Bettina Brill



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