Blätter für klassische Homöopathie

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Klassische Homöopathie

Auswahl des richtigen homöopathischen Heilmittels nach den Leit- und Bestätigungssymptomen mit Beispielen aus der Praxis

von Elwine Oldenburg

“Aber dies mühsame, zuweilen sehr mühsame Aufsuchen und Auswählen des dem jedesmaligen Krankheits-Zustande in allen Hinsichten homöopathisch angemessensten Heilmittels, ist ein Geschäft, was ungeachtet aller lobwerten Erleichterungsbücher, doch noch immer das Studium der Quellen selbst und zudem vielseitige Umsicht und ernste Erwägung fordert, auch nur vom Bewusstsein treu erfüllter Pflicht seinen besten Lohn empfängt –...” (§ 148 Organon der Heilkunst; S. Hahnemann; 6. Auflage; Haug; Heidelberg; S. 209)

Wie wahr sind und bleiben diese Worte des großen Meisters Hahnemann! Dieser eine Satz ist für mich stets gegenwärtig, wenn ich mich einem Krankheitsfall “homöopathisch” nähere.

Mit diesem bescheidenen Beitrag möchte ich allen Anfängern der homöopathischen Heilkunst mutig zusprechen, dem Studium der Arzneimittellehre gebührend Beachtung und Zeit zu schenken. Studium heißt in erster Linie das Begreifen des Genius, der generellen Wirkung des Mittels. Dies müssen wir stets im Geiste haben, um jedes einzelne Symptom in seiner Teilwirkung richtig beurteilen zu können. Vor allem in akuten Krankheitsfällen, wo oft am Krankenbett sofort entschieden werden muss und keine Zeit und Gelegenheit für umständliches Repertorisieren gegeben ist, kommt uns dieses Wissen um das Wesen unserer Arzneimittel sehr zugute. Und “der beste Lohn” wird folgen: Die Genesung unserer dankbaren Patienten. Auch sind in akuten Krankheitsfällen die Symptome meistens sehr deutlich und nicht selten springen uns die “richtigen Mittel” fast ins Auge, vorausgesetzt wir haben die Mittel auch studiert und in ihrem Wesen erfasst. Dies werden die nachfolgenden Fälle belegen.

Hier habe ich nach gründlicher Beobachtung des Krankenbildes und ernsthafter Überlegung die homöopathischen Mittel verordnet. Ich bin meinen Patienten dankbar, dass sie auch in hochakuten Situationen den Weg zur Homöopathie gefunden und damit der Homöopathie und mir ihr Vertrauen geschenkt haben.
Ich schildere die Fälle so wie sie sich mir dargeboten haben. Die Repertorisationen lasse ich bewusst weg. Wer üben möchte, kann gerne nachrepertorisieren.

1. Fall:

Anruf einer verzweifelten italienischen Frau. Ich müsse unbedingt kommen, sie halte es mit ihrem Mann nicht mehr aus. Seit 6 Wochen sei er zu Hause, krank geschrieben, nur wegen einem dicken, roten Zeh. Es gebe keine Minute Ruhe mehr im Haus. Er kommandiere alle herum, streite dauernd. Sie hätte von ihrer Nachbarin meine Adresse erhalten und bittet mich nun, mich dieses Falles anzunehmen. Ich solle es aber bitte nicht persönlich nehmen, falls auch ich ungnädig von ihrem Mann behandelt werden sollte.

Ich fand tatsächlich einen äußerst mürrischen Patienten vor. Er befahl mir gleich beim Eintritt ins Zimmer ja nicht näher zu kommen. Er sagte, es gehe ihm gut und er brauche keinerlei Hilfe. Und an seinen Fuß ließe er sowieso niemanden heran. Erst nach langem Drängen der Frau zeigte er mir seinen rechten großen Zeh, den ich mir aus zwei Metern Entfernung ansehen durfte: Kräftig rot und dick geschwollen. Ich bedankte mich höflich und ging zu seiner Frau in die Küche. Von ihr erfuhr ich noch Folgendes: Eine eindeutige Diagnose hätte er noch nicht, obwohl er schon bei einigen Ärzten war. Er bekäme Voltaren und Schmerzmittel und solle kalte Umschläge mit Rivanol® – Lösung machen. Er ginge mit Krücken, kann also vor Schmerzen überhaupt nicht auf den Fuß auftreten. Die Umschläge lehne er ab, denn Kälte würde ihm nicht gut tun. Auf die Frage, was denn vor 6 Wochen vorgefallen wäre, sagte sie nach längerem Nachdenken, dass eine größere Familienfeier stattgefunden habe und er wohl, wie öfters, zu viel gegessen und getrunken habe.

Ich verordnete Arnica C30, ein Globulus in einem Glas Wasser aufzulösen und er bekam davon noch am gleichen Tag 1/2 Teelöffel. Ich gab die Anweisung bei Bedarf noch ein weiteres Mal in gleicher Weise zu wiederholen. Ich bat sie, mich nach 2 Tagen zur Kontrolle anzurufen. Der Anruf kam nach drei Tagen: Ihrem Mann gehe es wieder gut, er sei Gott sei Dank wieder arbeiten. Sie bedankte sich und bat um die Rechnung.

Nash schreibt in seinen Leitsymptomen über Phytolacca: “Lassen sie mich nun die Aufmerksamkeit auf ein Symptom dieses Mittels lenken, welches für mich von großem Wert geworden ist: Unwiderstehliche Neigung, die Zähne oder die Gaumen zusammenzubeißen.”

Die Fälle sprechen für sich und ich schließe diesen Bericht in Dankbarkeit und Hochachtung vor der Homöopathie mit den Worten G.H.G Jahrs: “Damit ein nach dem Ähnlichkeitsgesetze gewähltes Mittel dem vorliegenden Krankheitsfalle so entspreche, dass möglichst schnelle, sichere und dauerhafte Heilung erfolgt, ist es nicht nur erforderlich, dass die wesentlichen oder pathognomischen Zeichen der Krankheit durch das betreffende Mittel gedeckt werden, sondern es müssen auch die charakteristischen Zeichen des Mittels den eigentümlichen Symptomen des Krankheitsfalles höchst ähnlich sein, indem jedes wahrhaft passende Mittel nicht nur in Beziehung zur Krankheit an sich, sondern auch in Beziehung zum erkrankten Individuum stehen muss, wenn es sichere und dauerhafte Heilung hervorbringen soll.” 2

...

2 G.H.G Jahr. Die Lehren und Grundsätze der gesamten theoretischen und praktischen Homöopathischen Heilkunst; S. 233

Literatur:
Eugene B. Nash, Leitsymptome in der Homöopathischen Therapie; Haug; Heidelberg
G.H.G. Jahr, Die Lehren und Grundsätze der gesamten theoretischen und praktischen Homöopathischen Heilkunst; G.H.G. Jahr Verlag; Euskirchen
S. Hahnemann, Organon der Heilkunst, 6. Ausgabe; Haug; Heidelberg

Anschrift der Verfasserin:
Elwine Oldenburg
Heilpraktikerin
Praxis für klassische Homöopathie
Lattweg 15
69207 Sandhausen
Tel. / Fax: 06224 / 92 35 15



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