FACHFORUM

Traditionelle Arzneiheilkunde - Tinctura Scillae – ein wichtiges Herzmittel

von Erich Schmitt

“Deutsche Bezeichnung: Meerzwiebeltinktur (1:5)

Fachbezeichnung: Tinctura Scillae DAB 6, Tinct. Scillae

Arzneirechtliche Einstufung: Apothekenpflichtiges Arzneimittel – Vorsichtig aufzubewahren – (geprüfte Rezeptursubstanz)

Rezeptursubstanz – “loses” Arzneimittel für die individuelle Rezeptur:
Herstellung, Prüfung und Zertifizierung erfolgen durch pharmazeutische Fachbetriebe. Die Qualität muß dem Deutschen Arzneibuch entsprechen (offizinell DAB 6).
Das zertifizierte Arzneimittel wird in sog. Versandgefäßen mit Apothekenbeschriftung und zusätzlichen Angaben über Alkoholgehalt und Haltbarkeit in den kontrollierten Fachhandel gebracht.
Bemerkung: Die Firma Hetterich in Fürth konnte dazu erwärmt werden, die Tinktur für die naturheilkundliche Praxis bzw. für die Apotheken wieder herzustellen.
Jede Apotheke kann Tinkturen und Fluidextrakte (Rezeptursubstanz) über den Pharma-Großhandel beziehen. Anbrüche dürfen innerhalb des Verfalldatums in der Apotheke gelagert und weiter verwendet werden. Die Preisgestaltung ist in der sog. Hilfstaxe geregelt.
Sollte die Apotheke bei der Bestellung über den Großhandel auf Schwierigkeiten stossen, kann die Apotheke die Tinktur direkt beim Hersteller (Tel. 0911 - 9770 - 739) als sog. Disposition bestellen. Die Belieferung erfolgt dann über den zu benennenden Pharma-Großhändler. Lieferzeit etwa 3-7 Tage.

Pharma-Zentral-Nummer (PZN): 1794491 (Packungsgröße 100 ml)

Verordnungsart: Tropfen, Tropfenmischung, Mixtur

Durchschnittsdosierung: Einnahme 0,5 (3 – 5 tgl. 10 – 20 Tropfen)

Herstellungsverfahren:

Ausgangsmaterial ist die getrocknete Meerzwiebel (Scilla maritima)
– geschnittene Meerzwiebel 1 Teil (Scillae bulbus)
– verdünnter Weingeist 5 Teile Kaltextraktion (Verhältnis 1:5)

Beschreibung der Tinktur:
Die Meerzwiebeltinktur ist nach heutiger moderner Herstellung hell und klar und schmeckt nur leicht bitterlich.
(Ethanolgehalt 70% V/V)

Inhaltsstoffe der getrockneten Meerzwiebel:

– verschiedene Glycoside (bis 0,4%) z.B. Scillaren A und B, Proscillaridin A und B
– Bitterstoffe und Gerbstoffe
– Schleimstoffe und Fette
– Zuckerstoffe und Eiweiß
– Saponine und Harze
– äth. Öle
– Zitronensäure und viele Mineralien

Bemerkung:
Der herzwirksame Glykosidgehalt ist durchaus schwankend. Die schonende Trocknung der Meerzwiebel ist hierbei von großer Wichtigkeit.

Arzneigruppe:

– Herzmittel (Glycoside II. Ordnung)
– Diuretikum
– Expectorans
– Resorptionsmittel

Indikation:

– leichte bis mittelschwere Herzinsuffizienz (auch mit Ödemen)
– Belastungsinsuffizienz (eher tachykarde Form)
– sog. Altersherz

Dekompensationserscheinungen:

– Herzschmerzen
– Kurzatmigkeit
– Erschöpfung
– abendliche Beinödeme
– Nykturie
– Schlafstörung
– evtl. Stauungsbronchitis
– Wassersucht (nicht entzündlicher Hydrops)
– verminderte Nierenleistung (auch Urämie)
– Milzschwellung (Stauung)
– sog. Leberverstopfung
– Schleim- u. Stauungsdyspnoe
– “feuchtes Asthma”
– Folgen von Verschleimungen
– veraltete Katarrhe
– Unterleibsstau (Verschleimungen)

Wirkungsweise:
Die moderne Phytotherapie setzt Scilla-Präparate mit ihren herzmuskelwirksamen Glykosiden (Glycoside II. Ordnung) fast ausschließlich als Cardiotonicum (Digitaloid) bei leichten bis mittelschweren Herzinsuffizienzen ein. Somit bei Altersherz, Mitralstenose, Aorteninsuffizienz, Rechtsinsuffizienz, Angina pectoris sowie bei drohender Dekompensation. Da Scilla diuretisch wirkt, wird sie besonders bei kardialen Ödemen verordnet – aber auch beim nephritischen Ödem kann Scilla hilfreich sein. Im Gegensatz zu Digitalis kumulieren Scilla-Präparate relativ wenig. Mit einer Herabsetzung der Pulsfrequenz und mit einer positiven Aktivierung des Blutdruckes ist zu rechnen.

Die Meerzwiebel ist eine alte Kultur- und Heilpflanze mit einer sehr langen Tradition. Schon in der Antike wurde ihre tiefgreifende Wirkung geschätzt und abgerufen. Die getrocknete Droge gehört zu den vitalitätserhöhenden Mitteln, mit reizenden bzw. positiv erregenden Eigenschaften. Ihre Qualität ist warm und trocken, die Wirkrichtung ist eröffnend u. durchdringend bzw. auflösend und gleichzeitig stärkend.

Als “scharfes Diuretikum” aktiviert sie die “innere Aufsaugung” und die “äußere Abscheidung”. Reiztherapeutisch wirkt Scilla auf das Lymphsystem, auf die Harnorgane, die serösen Häute und auf die Schleimhäute.

Stasen im venösen Schenkel werden verbessert oder beseitigt (venöser lymphatischer Hydrops). Hierbei werden selbstredend das Pfortader- u. Lebersystem sowie die Unterleibsorgane mit angesprochen. Die Scilla ist besonders bei torpiden Zuständen und Verschleimungen geeignet. Stauungen und Reaktionsstarren werden aufgelöst bzw. positiv beeinflusst.

Das klassische Einsatzgebiet von Scilla-Präparaten ist die sog. Wassersucht (Haut und Gewebe, Brust und Bauch). Wichtig ist hierbei, dass es sich nicht um einen erethischen bzw. entzündlichen Zustand handelt. Rademacher verwendete die Scilla bei Milzstauungen (dumpfer Schmerz in der Milzgegend – des öfteren auch mit asthmatischen Zuständen).

Im 18. Jahrhundert wurde Scilla häufig bei Verschleimungen der Brustorgane, bei veralteten Katarrhen und bei Reaktionsstarren im Unterleib (schleimige Stauungen) eingesetzt.

Kontraindikation:
Bei entzündlicher Diathese, erethischem Gefäß-System, empfindlichem Magen-Darm und bei allgemeiner Reizbarkeit ist Vorsicht geboten. Am besten werden Scilla-Präparate von torpiden verschleimten Lymphatikern vertragen.

Gegenanzeige laut Kommission E:
Digitalisintoxikation, Hyperkalzämie, Kalium-Mangelzustände, schwere Bradykardie, ventrikuläre Tachykardie.
Vorsicht bei Erregungsleitungsstörung und bei i.v.-Kalziumtherapie.

Mögliche Nebenwirkungen:
Übelkeit, Erbrechen, Magenbeschwerden, Durchfälle, unregelmäßiger Puls.

Bemerkung:
Mit Stichtag 30. Juni 2003 sind eine große Anzahl von bewährten Fertigarzneimitteln (bes. Phytotherapie) vom Markt verschwunden. Zum Glück haben wir einige Traditionsfirmen als kompetente Partner bzw. Hersteller für Tinkturen und Fluidextrakte.

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Anschrift des Verfassers:
Erich Schmitt
Heilpraktiker
Hastverstr. 34
90408 Nürnberg



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