Einzelmittel- vs. Komplexmittel–Homöopathie

Arthur Lutze und die Folgen

von Jochen Schleimer

Die orthodoxe Homöopathie stützt sich auf das “Organon”, Samuel Hahnemanns Hauptwerk, in Deutschland in seiner 6. Auflage; in sehr vielen anderen, besonders außereuropäischen Ländern wird die 5. Auflage benutzt. Die Gründe dafür sind historischer Natur.

Unabhängig von der Auflage wird von Hahnemann die Ansicht vertreten, dass immer nur ein Mittel gegeben werden darf. Hahnemann weiß dafür gute Gründe anzugeben: Durch eine Vielzahl von Reizen sei die Heilkraft des Organismus überfordert und man wisse bei der Gabe von mehr als einem Mittel nicht, auf was nun die Reaktion des Organismus zurückzuführen sei.

§ 273

In keinem Fall von Heilung ist es nötig und deshalb auch nicht zulässig, mehr als eine einzige, einfache Arzneisubstanz auf einmal beim Kranken anzuwenden.

Es ist nicht einzusehen, wie es nur dem mindesten Zweifel unterworfen sein könnte, ob es naturgemäßer und vernünftiger sei, nur einen einzelnen, einfachen und wohl bekannten Arzneistoff auf einmal in einer Krankheit zu verordnen oder ein Gemisch von mehreren, verschiedenen. In der Homöopathie, der einzig wahren, einfachen und naturgemäßen Heilmethode, ist es durchaus unerlaubt, dem Kranken zwei verschiedene Arzneisubstanzen auf einmal einzugeben.

Das sind gewichtige Gründe, denen schwer zu widersprechen ist, und doch regte sich schon zu Hahnemanns Zeiten Zweifel an der Einzelmittel-Homöopathie, wie der Briefwechsel zwischen Hahnemann und Ägidius zeigt.

Lieber Freund und College!

Glauben Sie ja nicht, dass ich etwas Gutes verschmähe aus Vorurtheil, oder weil es Aenderungen in meiner Lehre zuwege bringen könnte. Mir ist es bloss um Wahrheit zu thun, und ich glaube, auch Ihnen. Ich freue mich daher, dass Sie auf einen so glücklichen Gedanken gekommen sind, ihn aber in der nothwendigen Einschränkung gehalten haben: “Dass nur in dem Falle zwei Arzneisubstanzen (in feinster Gabe, oder zum Riechen) zugleich eingegeben werden sollten, wenn beide gleich homöopathisch dem Fall angemessen scheinen, nur jede von einer anderen Seite.” Dann ist das Verfahren so vollkommen unserer Kunst gemäss, dass nichts dagegen einzuwenden ist, vielmehr, dass man der Homöopathie zu Ihrem Funde Glück wünschen muss. Ich selbst werde die erste Gelegenheit benutzen, ihn anzuwenden, und zweifle am guten Erfolge keinen Augenblick. Auch freut es mich, dass unser v. Bönnighausen einstimmig mit uns hierin denkt und handelt. Ich glaube auch, dass beide Mittel zu gleicher Zeit gegeben werden sollten – sowie ich zu gleicher Zeit Sulphur und Calcaria gebe, wenn ich Hepar sulph. eingebe oder riechen lasse – oder Schwefel und Quecksilber, wenn ich Zinnober eingebe oder riechen lasse. Erlauben Sie also, dass ich Ihren Fund in der nächsten erscheinenden 5ten Ausgabe des Organons der Welt gehörig mittheile. Bis dahin aber bitte ich, Alles bei sich zu behalten und auch Herrn Jahr, auf den ich viel halte, dazu zu vermögen. Zugleich werde ich dabei gegen allen Missbrauch, nach leichtsinniger Wahl zweier zu verbindender Arzneien, daselbst protestiren und davor ernstlich warnen.

Bleiben Sie gewogen

Ihrem
Samuel Hahnemann.


Notfallbehandlung

Wann wirken Komplexmittel – und wann nicht

Wirtschaftliche Aspekte

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Literaturverzeichnis:
Bönnighausens Therapeutisches Taschenbuch, Sonntag Verlag, Stuttgart, 2000
Eichelberger, O.: Klassische Homöopathie, I + II, Haug Verlag, Heidelberg, 1976, 1982
Fortier – Bernoville: What we must not do in Homoeopathy, Jain Publ. New Delhi, 1974
Fritsche, H.: Samuel Hahnemann, Klett Verlag, Stuttgart, 1954
Hahnemann, S.: Organon der Heilkunst, Ausgabe 6 B, Haug Verlag, Heidelberg, 1974
Lutze, A.: Lehrbuch der Homöopathie, 10. Auflage, Köthen, 1882
Lutze, A.: Lehrbuch der Homöopathie, 12. Auflage, Köthen, 1893

Anschrift des Verfassers:
Dr. med. J.Schleimer
Neurologe – Psychiater, Homöopathie – Naturheilverfahren
Waltramstr. 3
81547 München



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