Der Historische Artikel

Einzel- oder Komplexmittel?

von Peter Rott

Die Frage, ob Einzel- oder Komplexmittel, hat die Gemüter schon stets bewegt.
Der Artikel vom Peter Rott erschien bereits 1966 in unserer Naturheilpraxis.
Red.

Auch dieser Streit ist so alt wie die Homöopathie selbst. Diese Frage scheidet die Naturheilkundigen seit langem in zwei sich gegenüberstehende Lager. Gewiß sind bei eindeutigen Symptomen und reinen Typen die Einzelmittel das schlechthin Richtige, Ideale und seit 150 Jahren immer wieder erprobt und bestätigt. Doch, so einfach liegen die Dinge heute oft nicht.

Fast jeder Mensch ist ein Mischtyp und hat irgend eine schwache Stelle, einen locus minoris resistentiae, eine “Achillesferse”. Dadurch verschiebt sich manches in Theorie und Praxis.

Fangen wir das Problem ganz von vorne, von unten an. Die Kranken waren noch bis vor dem Ersten Weltkrieg von anderer Art als heute. Abgesehen von den noch nicht so massiert vorhandenen Zivilisations-Schäden, von der Lebenshetze mit ihrer Lebensangst, lebten die Menschen besser, d. h. selbst bei Armut oder gar Kargheit gesünder, nicht naturfremd in Ernährung und Haltung, dazu noch kulturhafter mit religiöser Bindung, mit Volkslied und Volkstanz. Es gab noch kein gechlortes Trinkwasser, kein giftgespritztes Gemüse und Obst, keine verpestete Luft, keine verschönten und damit entwerteten Nahrungsmittel und auch noch keine so weitgehende Strahlenbedrohung wie heute. Ein Kranksein hatte damals meist nur eine Ursache und konnte deshalb auch mit einem Mittel, mit dem entsprechenden Simile, geheilt werden – gesetzmäßig sicher.

Die eben erwähnten Faktoren der Schädigung haben nicht nur den Körper beeinflußt, sondern auch gleichzeitig das Seelische, denn Seele und Leib sind eine natürliche Einheit. Damit haben sich aber auch die Krankheitsbilder geändert: Das Einheitsbild wurde ein vielschichtiges Komplexbild. In unserer heutigen Zeit können “gleichzeitig” mehrere Krankheits-Ursachen zur Auswirkung kommen. Vor 50 Jahren, und noch früher, bekam ein Mensch es sehr mit der Angst zu tun, wenn seine geruhsame, sicher ablaufende Lebensführung durch 35 oder 40% “Kranksein” gestört wurde. Und er unternahm sofort etwas dagegen, nicht nur für sich selbst, sondern auch im Hinblick auf die von ihm abhängige Familie, auf Beruf und Arbeitsplatz. Heute aber, sofern ein Mensch nicht gerade ein Hypochonder ist, will er sogar bei 90% Kranksein dies nicht wahrhaben: Es stört ihn, er hat keine Lust, keine Zeit. Er liebt nicht die von der Kasse streng verlangte Zimmer- oder Hausgebundenheit – und selbst der kassenfreie Patient redet sich ein, für Krankheit kein Geld zu haben, das er so dringend für Alkohol, Tabak und seine sonstigen Passionen, den allgewaltigen “Lebensstandard”, benötigt.

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Naturheilpraxis 4/2004