Metalle im Schamanismus

Heilmittel, Amulette, Schamanenwaffen und Klangkörper

von Christian Rätsch

Metalle im Reigen der Kultur

“Ich will mein Leben durch Kupfer, Gold und mühsam bearbeitetes Eisen erkaufen.”
Homer, Il. 6, v. 48

Metalle 1 haben seit Anbeginn der Kulturgeschichte dem Menschen gedient, sein Verhalten geprägt, sein Kulturschaffen begünstigt, ihn aber auch zerstört und vergiftet. Metalle sind – wie alles im schamanischen Universum – ambivalent. Mit einem Metallmesser kann man sich eine Stulle schmieren, aber auch ein anderes Wesen ermorden.

Die Bedeutung von Metallen im Schamanismus reflektiert die Kulturgeschichte des Schamanismus. Der Schamanismus ist die älteste spirituelle Technik, verbunden mit Mythologie, Ritualistik und sozialer Funktion, der Menschheitsgeschichte. Der Schamanismus hat seine Wurzeln in der Steinzeit, er steht am Anfang der Menschwerdung. Die ältesten bekannten menschlichen Kunstformen (Höhlenmalerei, Kleinplastik) stammen aus der Steinzeit und stehen mit dem Schamanismus im Zusammenhang (Clottes und Lewis-Williams 1997). D.h., der Schamanismus hat sich in einer Zeit entwickelt, die von steinzeitlicher Technologie und Ergologie geprägt war. Die wichtigsten Werkmaterialien waren Holz, Pflanzenfasern, Harze, Früchte (Nüsse), Stein, Ton, Konchylien, Knochen, Hörner und Geweih, Felle und Leder. Das Schürfen von Erzen zur Metallgewinnung setzte in der Kupferzeit ein. Die Kunst des Legierens begann mit der Bronzezeit, und wurde seither weiterentwickelt (Hirschberg und Janata 1980).

Die Entdeckung des Legierens muss verblüffend gewesen sein: man konnte durch das Zusammenfügen von zwei verschiedenen Substanzen eine neue, eine dritte mit nur ihr eigenen physikalischen Eigenschaften erhalten. Sie sahen ihrem schamanischen Kosmos entsprechend in den verschiedenen Metallen “Männer” und “Frauen”; das Legieren war ihre heilige Hochzeit und Vollkommene Vereinigung; fortan lebten sie vereint in ihrem “Kind” fort.

Schamanen waren schon immer Meister in der Verwendung von Pflanzensäften für Pharmazeutika, Enterogene, Pfeilgifte, Räucherwerk usw.; kurz: sie waren und sind Naturwissenschaftler. Dieses Wissen war für die Metallurgie von großem Wert: im präkolumbischen Südamerika bewirkte man “die Vergoldung bzw. Versilberung der Objekt-Oberfläche auf elektrochemischem Wege (ebenfalls durch Verwendung von Pflanzensäften, die die Oberflächenleitfähigkeit verstärkten und einen Ionenstrom zum Fließen brachten, der bewirkte, dass das reine Edelmetall fest an der Oberfläche der Legierung haftete).” Coe et al. 1987: 168) 2

Da die Entstehung des Schamanismus in der Steinzeit liegt, haben hauptsächlich die natürlich vorkommenden Metalle eine wichtige Bedeutung erhalten. Kupfer, Gold und Meteoreisen bzw. “Himmelseisen” (also das, was man dafür hält) sind weltweit die wesentlichen schamanischen Metalle – bis heute.

Am Beispiel der Schmiedekunst der nordamerikanischen Navaho-Indianer kann gezeigt werden, wie eine schamanische Kultur ohne eigene Metallurgie, bei Kontakt mit Metallen, diese kulturell deutet und technisch nutzt. Bei den Navajo konnte die komplexe schamanische Symbolik des entheogenen Stechapfel- bzw. Daturarituals erst richtig mit der Kupfer- und Silberverarbeitung zu Schmuck ausgedrückt werden. Die sogenannten Squashblossom Necklaces (“Kürbisblütenketten”) gehören zu den frühesten Schmiedeerzeugnisse der Navajo (seit etwa 1860). Auf alten Fotografien (von 1880 bis ca. 1930) tragen Navajomännern und –frauen fast immer solche Ketten. Sie bestehen aus einer Kette von Silberperlen, in deren Mitte sich einige blütenartige Motive einreihen. Sie umrahmen den zentralen, hufeisenähnlichen Anhänger, die sogenannten Naja. Aus der Frühzeit der Schmuckschmiederei sind auch Exemplare aus dem Schamanenmetall Kupfer bekannt. Für die Navajo ist die “Kürbisblütenkette” eine schamanische Stechapfelkette. Der stark halluzinogene Stechapfel (Datura discolor, Datura innoxia) ist die heilige Pflanze der Navajo, die rituell zur Heilung, Erkenntnis und Spiritualität eingenommen wird. Die naja der modernen Navajos ist die Darstellung des Datura-Geistes. Die dreiblättrige Spitze ist die Knospe der Datura und die halbkreisförmigen Arme symbolisieren die Kraft des Geistes, der die Teilnehmer einer Datura-Zeremonie während der Ekstase miteinander verbindet, zusammenhält und schützt. Die Arme symbolisieren ebenfalls den Regenbogen, der bei den Navajo das Gefährt des Schamanen und das Symbol der Schamanenreise ist (Müller-Ebeling und Rätsch 2003).

Heilige Metalle – Göttliche Exkremente

Hagelndes Himmelseisen: Meteoriten

Kupfer: das aphrodisische und schamanische Metall

Gold oder die Tränen der Sonne

Metallklang und Ekstasetechnologie

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Anm.:
1 Unser Wort Metall leitet sich von römisch-lateinisch metallum ab und geht auf griechisch métallon, “Mine, Erzader, Grube, Schacht; Mineral, Metall” zurück. Der griechische “Vater der Pharmazie” DIOSKURIDES (1. Jh.) fasst unter dem Oberbegriff Metallika Erze, Edelsteine, Mineralien und chemische Präparate zusammen (GOLTZ 1972: 2).
2 D.h., die Indianer haben eine naturwissenschaftliche Methode anhand empirischer Beobachtungen und Ergebnisse entdeckt oder entwickelt. Schamanen sind sehr exakte Naturwissenschaftler, aber nicht nur (RÄTSCH 1998).

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Danksagung
Besonderer Dank gilt Dr. Jochen Schlüter, Direktor des Mineralogischen Museums der Universität Hamburg, für mineralogische Beratung und Analysen! Und Wolfgang Maria Ohlhäuser für das Amulettgeld aus Laos.

Anschrift des Verfassers:
Dr. Chritian Rätsch
Birkholzweg 17
22159 Hamburg



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