Brauchtum

Glückspilze zum Neuen Jahr! Der Fliegenpilz als Symbol

von Christian Rätsch

Prosit Neujahr!

“Zu Neujahr wuchern nun in den Städten die Glückssymbole wie Pilze aus der Erde: ein Töpfchen mit Glücksklee, besteckt mit Glückspilzchen, ist ebenso ein weithin beliebtes Neujahrsgeschenk wie der Schornsteinfeger aus getrockneten Zwetschgen.” (Weber Kellermann 1987: 183)

Alle Jahre wieder kommen die Fliegenpilze vor Silvester in unsere Supermärkte und Geschenkläden. Aber nicht die biologischen Fruchtkörper von Amanita muscaria, sondern ihre kulturellen Abbilder, Artefakte. Plötzlich begegnen uns Fliegenpilze auf Glückwunschkarten, in Blumengestecken, in der Werbung. Es gibt zahlreiche Nachbildungen des Fliegenpilzes für Dekorationszwecke, bis hin zu Feuerwerkskörpern (“Glückspilze”) für die Silvesterparty. Außerdem werden die schmucken Pilze gerne in Form von Schokolade und Marzipan reproduziert (Bauer et al. 2000). Oftmals finden wir im Zusammenhang mit den Fliegenpilzen auch weitere Glückssymbole: Glückskleeblätter 1, Hufeisen, Kröten, Schornsteinfeger, Schweinchen, Marienkäfer, Zwerge und Wichtel.

Es ist ein Brauch, der schon in der Antike dokumentiert wurde, seinen Mitmenschen zum Neuen Jahr Glück zu wünschen. Im Alten Rom verschenkte man dazu Glücksgebäck – so wie wir heute noch an Verwandte und Freunde Berliner verteilen. Auch unser Glückwunsch “Prost” oder “Prosit” stammt aus Rom. Das lateinische Wort Prosit ist die 3. Person Singular Konjunktiv Präs. Akt. von lateinisch prodesse, “nützen, zuträglich sein”. Seit Beginn des 18. Jahrhunderts wird sich im deutschen Sprachraum mit dieser grammatikalischen Form zugeprostet. Der Gebrauch dieses eingedeutschten Wortes, eigentlich eine Wunschformel, stammt aus der akademischen Studentensprache.

Anmerkungen

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Literatur:
Alt-Kramer, Dieter 2003 “Herzbeschwerden homöopathisch behandeln: Arzneimittelprüfung mit Agaricus muscarius D 4”, Co’med 09/03: 73-74.
Amelang, Norbert 2003 “Pilze in Westsibirien – eine Kostprobe”, Der Tintling 8(2): 15-21.
Arends, Johannes 2001 Volkstümliche Namen der Drogen, Heilkräuter, Arzneimittel und Chemikalien (17. erweiterte Auflage), Berlin usw.: Springer. Bauer, Wolfgang, Edzard Klapp und Alexandra Rosenbohm
2000 Der Fliegenpilz: Traumkult, Märchenzauber, Mythenrausch, Aarau: AT Verlag.
Bibra, Baron Ernst von1855 Die narkotischen Genussmittel und der Mensch, Nürnberg: Verlag von Wilhelm Schmid.
Haseneier, Martin1992 “Der Kahlkopf und das kollektive Unbewusste”, Integration 2&3: 5-38.
Lemaire, Ton, 1995 Godenspijs of duivelsbrood: Op het spoor van de vliegenzwam, Baarn: Ambo.
Madejsky, Margret und Olaf Rippe 1997 Heilmittel der Sonne, München: Verlag Peter Erd.
Marzell, Heinrich 1935/36 “Pilze”, in: Handwörterbuch des Deutschen Aberglaubens Bd. 7: 28-33, Berlin und Leipzig: de Gruyter.
Rätsch, Christian 2000 “Tengu – Der Geist des Fliegenpilzes”, in: Wolfgang Bauer et al. (Hg.), Der Fliegenpilz: Traumkult, Märchenzauber, Mythenrausch, Aarau: AT Verlag, S. 66-71.
Rätsch, Christian und Claudia Müller-Ebeling 2003a Lexikon der Liebesmittel: Pflanzliche, mineralische, tierische und synthetische Aphrodisiaka, Aarau: AT Verlag.
Rätsch, Christian und Claudia Müller-Ebelin 2003b Weihnachtsbaum und Blütenwunder: Die Geheimnisse unserer Weihnachtspflanzen, Aarau: AT Verlag.
Rohde, Hartwin 2003 “Pilze in Märchen, Medizin und Religion”, in: Felix von Bonin (Hg.), Schamanismus und Märchen: Eine schamanische Reise durch den Zauberwald der Seele, Ahlersfeld: Param Verlag, S. 165-176.
Rosenbohm, Alexandra
1991 Halluzinogene Drogen im Schamanismus: Mythos und Ritual im kulturellen Vergleich, Berlin: Dietrich Reimer Verlag.
1995 “Zwischen Mythologie und Mykologie: Der Fliegenpilz als Heilmittel”, Curare 18(1): 15-23.
Weber-Kellermann, Ingeborg 1987 Das Weihnachtsfest: Eine Kultur- und Sozialgeschichte der Weihnachtszeit, München, Luzern: Bucher.

Fotos: C. Rätsch

Anschrift des Verfassers:
Dr. Christian Rätsch
Birckholtzweg 17
22159 Hamburg



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