Personalia

Zum Tod von Joachim Broy

Die Nachricht kam nicht überraschend; dennoch hat sie uns alle tief getroffen: Nach langer Krankheit ist unser verehrter Kollege und Lehrer Joachim Broy am 23. Oktober 2003 im Alter von 82 Jahren gestorben. Wir trauern um einen jener bedeutenden Heilpraktiker, die sich nach dem Zweiten Weltkrieg in „der Giselastraße“ im Münchner Stadtteil Schwabing zusammenfanden und unseren Beruf vor dem von der Nazi-Diktatur beabsichtigten Niedergang bewahrt und ihn in eine neue Zukunft gelenkt haben. Wie kaum ein anderer hat Joachim Broy das wissenschaftliche Paradigma der Naturheilkunde als geschlossenes heilkundliches System durchdrungen und geprägt. Und er hat – in bester Tradition unseres Berufs – sein profundes Wissen in selbstloser Weise an seine Schüler und die im Beruf stehenden Kolleginnen und Kollegen weitergegeben. Zu seinem achtzigsten Geburtstag vor zwei Jahren konnten wir vom Landesverband Bayern des Fachverbandes Deutscher Heilpraktiker, in dem er ein halbes Jahrhundert lang gewirkt hat, ihn mit der Herausgabe seiner „Gedanken zur Naturheilkunde“ ehren, eine inhaltsreiche Schrift, die viel zu rasch zu seinem Vermächtnis geworden ist.

Joachim Broy wurde am 15. Juli 1921 in Breslau geboren; an der dortigen "Höheren Technischen Lehranstalt" hat er auch ein Studium zum Biotechniker begonnen. Aber der Kriegsdienst setzte nicht nur seiner beruflichen Ausbildung ein abruptes Ende, sondern auch der Möglichkeit, in seine schlesische Heimat zurückzukehren. Die Wirren der Nachkriegszeit führten ihn nach Bayern, wo er sich autodidaktisch in umfangreichem Bücherstudium und in Lehr- und Assistenzjahren bei August Kröll in München und Otto Müller in Tittmoning zum Heilpraktiker ausbildete. Das war eine außerordentlich optimistische Berufsentscheidung, denn zu jener Zeit, als er den neuen Beruf wählte, galt die von den Nazis erlassene Nachwuchssperre fort; sie wurde erst im Jahre 1951 aufgehoben.

Kurz nach seiner Berufszulassung trat Broy in den wenige Jahre zuvor gegründeten Landesverband Bayern ein. Und dort beteiligte er sich sogleich am Neuaufbau der Berufsorganisation. Warum er sich für die Kollegenschaft in die Pflicht nehmen ließ, begründete er einmal knapp und unprätentiös: „Der damalige Landesleiter Ferdinand Linder und ich sahen eine Entwicklung auf beruflicher und berufspolitischer Ebene auf uns zukommen, der die Kollegenschaft wohl nicht gewachsen sein würde.“

Zunächst widmete sich Broy der kollegialen Fachfortbildung im Bezirk München und förderte damit nicht nur das Fachwissen der Kollegenschaft, sondern auch das soziale „Wir-Gefühl“ als Berufsgruppe, ohne das die Interessenvertretung überhaupt nicht möglich war. Seine Erfahrungen aus den Anfangsjahren fasste er darauf in einem Fachfortbildungskonzept zusammen, das er 1962 dem Vorstand sowie dem Beirat und den Bezirksleitern des Landesverbandes vorlegte. „Das Konzept wurde nicht nur einstimmig angenommen, sondern der Einfachheit halber übertrug man mir auch gleich die Leitung dieses Ressorts“, erinnerte sich Broy später. Von da an war er Landesfachfortbildungsleiter – eine Position, die ihm wie auf dem Leib geschneidert war und die er entscheidend geprägt hat. „Ohne Geld, ohne Redner, nur ausgestattet mit dem uneingeschränkten Vertrauen unseres Landesleiters Linder“ machte sich Broy sogleich an die Arbeit, die er mehr als 20 Jahre ausübte und erst 1984 an einen Nachfolger abgab.

In dieser Zeit war er stets bemüht, das naturheilkundliche Denkmodell in der täglichen Praxis der Kollegenschaft lebendig zu halten. Besondere Verdienste erwarb sich Broy um die Schüsslersche Biochemie mit der Gründung und langjährigen Leitung des Arbeitskreises für praktische Biochemie.

Joachim Broy bewahrte nicht nur eine große Fülle naturheilkundlichen Wissens vor der Vergessenheit, sondern er bewies auch außerordentlichen Weitblick. Eines der frühen Zeugnisse hierfür hat Gerhard Glas, ein langjähriger Weggefährte Broys im Landesverband, festgehalten. Er habe bereits 1971, bei der zentralen Fachfortbildungstagung in Augsburg (wo die ersten „Tagungen für Naturheilkunde“ stattfanden, bevor sie den dortigen Rahmen sprengten und der Veranstaltungsort nach München verlegt wurde) eine Einführung in die Kybernetik gegeben, zu einer Zeit, als sich die Medizin noch sträubte, von dieser Außenseiterwissenschaft der Ingenieure etwas in ihr Denkgebäude zu integrieren.

Im Tagungsheft dieser Veranstaltung schrieb Broy dazu selbst: „Die Ingenieurwissenschaften und die Naturwissenschaften einschließlich Biologie und Medizin tragen seit einigen Jahren zunehmend verbindende Züge, die besonders im Bereich der Heilkunde zu neuen Gesichtspunkten in der Ganzheitsbetrachtung geführt haben. Die Wissenschaften überbrückende Kybernetik (die Lehre von den Regelungsvorgängen) weist der Physiologie und somit zwangsläufig auch der Pathologie neue Wege der Krankheitsbeurteilung und –erkennung. Ihre daraus resultierende Modifizierung in der Bewertung und Einordnung der therapeutischen Methodik wird notwendigerweise in nächster Zeit zu erwarten sein und wird sicher auch vor dem Heilpraktiker und seiner naturheilkundlichen Therapie nicht halt machen.“ Solche Gedanken sind inzwischen mehr als 30 Jahre alt, und sie entstammen einer Zeit, als Broy auf einem Commodore seine eigene „Software“ in der frühen Computersprache Basic selbst programmierte.

Die Lehrtätigkeit an der verbandseigenen „Heilpraktiker-Fachschule München“ (wie sie damals hieß) nahm Joachim Broy im Jahre 1960 auf und gehörte dem Lehrerkollegium dieser traditionsreichen Ausbildungsstätte unseres Berufs ohne Unterbrechung bis 1999 – also fast 40 Jahre – an.

Joachim Broy hat manches aus seiner Forscher- und Lehrtätigkeit in Büchern und Zeitschriftenaufsätzen publiziert, darunter die „Segment-humorale Reiztherapie“ und „Die Konstitution, humorale Diagnostik und Therapie“ (dessen erste Auflage inzwischen zu Liebhaberpreisen gehandelt wird). Seine Pionierarbeiten zur medizinischen Datenverarbeitung gehören leider nicht dazu; sie werden wohl der Vergessenheit anheim gefallen sein. Eine Ausnahme bildet indes der Beitrag „Die endokrine Kybernetik“ in Josef Angerers Buchreihe über „Ophtalmotrope Phänomenologie“. Viel zu wenig bekannt ist schließlich, dass wir Broy auch zahlreiche biologische Arzneimittel verdanken, die er zusammen mit ihm verbundenen Pharmafirmen entwickelte.

Mit seiner Lehr- und Forschertätigkeit, aber auch als Behandler seiner Patienten in täglicher Praxis in München, steht Joachim Broy in der Tradition bedeutender Heilerpersönlichkeiten. Er hat bewiesen, dass diese Tradition nicht mit Sebastian Kneipp und Emmanuel Felke ein Ende gefunden hat, sondern bis in die heutige Zeit fortbesteht. Joachim Broys reiches Vermächtnis wird fortbestehen, und es ist unsere Verpflichtung, es ehrend zu bewahren.

Wir sind stolz und dankbar, ihn als Menschen und Lehrer gekannt zu haben.

Ursula Hilpert-Mühlig
Vorsitzende des FDH – Landesverband Bayern


Auch die „Naturheilpraxis“ verdankt Joachim Broy zahlreiche wegweisende Veröffentlichungen, die die Kollegenschaft bis heute in ihrem fachlichen Denken beeinflussen.. Joachim Broy hat sich – nicht zuletzt wegen seiner analytischen Klarheit im ganzheitlichen Denken – wie kaum ein anderer um die Naturheilkunde verdient gemacht.

Der Pflaum Verlag und die Redaktion Naturheilpraxis verneigen sich in ehrendem Angedenken.

Karl F. Liebau
Chefredakteur Naturheilpraxis



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Naturheilpraxis 12/2003