FACHFORUM

Medizin und Geisterglaube in der Bibel (II)

von Walter Andritzky

Jesus fungierte, wie die unübersehbare Vielfalt von New-Age-Therapien heute, als “alternativer Heiler“, der weniger mit Kräutern und biologischen Methoden, sondern mit gesundheitspsychologischen Werkzeugen arbeitete, zumeist wird auch der "Glaube" des Patienten als Wirkfaktor betont.

Psychosomatische Störungen

Wenngleich sich die Hautkranken, Lahmen, Blinden, Stummen und „Gichtbrüchigen“ (Arthrosen) als typisch hysterisch-psychogene Erkrankungen charakterisieren lassen, die sich z.B. unter Hypnose experimentell hervorrufen lassen, so überrascht es, dass es sich in keinem Fall um eine Frau handelt und dass auch von Geburt an Betroffene geheilt werden. Der Psychoanalytiker Freud hatte Lähmungen, Kontrakturen, Sprach-, Seh- und Schlafstörungen sowie Anorexie und Erbrechen als typische hysterische Somatisierungen beschrieben, die rasch verschwinden, wenn der an die auslösende verdrängte Vorstellung geknüpfte Affektbetrag z.B. in Hypnose abreagiert oder über Assoziationen bewusst wird. Ebstein berichtet zu den biblischen Fällen analoge Spontanheilungen bei Erblindung, Gicht und Wassersucht allein als Folge von für den Kranken jeweils stark erregenden Ereignissen.

Gehen wir mit Devereux davon aus, dass die Hysterie die typische ethnische Störung in traditionalen Gesellschaften ist und damit nicht wie zu Freud’s Zeiten überwiegend nur Frauen betroffen sind, dann können die Spontanheilungen als Resultat der Erregung angesehen werden, die die Kranken im Zusammentreffen mit einer charismatischen und symbolträchtigen Figur wie Jesus empfunden haben müssen.

Fassen wir die vorstehenden Beispiele biblischer Heilungsberichte zusammen, so fällt auf, dass es sich zwar um Störungen handelt, für die Spontanheilungen aus der ärztlichen Praxis bekannt sind, nichtsdestoweniger ist es interessant, zu sehen, wie die Selbstheilungen gezielt aktiviert werden: (a) vorgegeben ist ein charismatischer Wunderheiler (Jesus), (b) der Patient wird vor der Behandlung gefragt, was er will, ob er gesund werden will, ob er glaubt, dass Jesus ihn heilen könne bzw. dieses Vertrauen ist schon vorhanden. Damit liegt eine Selektion positiv motivierter Kranker vor; (c) die Heilhandlungen bestehen im Berühren, Handauflegen, Berührenlassen, symbolischen Reinigungshandlungen und der Verbalsuggestion, dass die Heilung schon vollzogen ist ("Steh’ auf...", "was siehst du?" etc.), (d) die Erklärungen von Jesus zielen fast durchgängig nicht auf eigene übernatürliche Fähigkeiten oder das Wirken von Gott durch ihn, sondern auf den Glauben und das Vertrauen des Klienten (`Dein Glaube, Vertrauen etc. hat dir geholfen`).

Erst wenn die Jünger heilen und Dämonen austreiben, geschieht dies „im Namen des Herrn“ und nicht mehr durch eigene Kraft (Apostelgeschichte 3; Matt 7,22; Lukas 10,17ff). Das Wirken von Jesus als charismatischem Heiler, der bei den überwiegend chronisch Kranken mit Wort und Symbol arbeitet, impliziert daher, unabhängig vom tatsächlichen, langfristigen Heilerfolg, der aus den Berichten nicht erschlossen werden kann, ein intuitives Wissen um die Behandlung psychosomatischer Störungen.

Übernatürliche Krankheiten

Seuchen

Anfallsleiden, Depressionen

Besessenheit

Dämonenaustreibungen

Politik und Wahrsagerei

Traumdeutung und Ekstase

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Literatur:
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Anschrift des Verfassers:
Dr. phil.Walter Andritzky
Kopernikusstr. 55
40225 Düsseldorf



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