FORUM ERNÄHRUNG

Ist die Ernährungsfrage geklärt? Sind noch Fragen offen? – Teilantworten

von Josef Karl

I.
Es könnte gut sein, dass endlich und wirklich „alles klar“ ist: wissenschaftlicherseits gibt es eine riesige Datenlage; die „Volksaufklärung“ scheint längst totale Dimensionen erreicht zu haben. Alle sind inzwischen in Ernährungsfragen Experten/innen.

Und trotzdem hat die Sache einen Hacken: zwar hat jeder/jede eine Meinung – nur, sie stimmt mit keiner eines anderen überein!

In der Tat gibt es wenige Themen (Erziehungsfragen vielleicht ausgenommen), die so engagiert bis hin zu fanatisiert diskutiert und propagiert werden wie: was sollen (müssen!) wir essen und trinken? Und neuerdings auch immer mehr: welche Zusatzstoffe (Vitamine, Mineralien, Spurenelemente) brauchen wie unbedingt?

Der Verfasser dieses Beitrags kann auf manches zurückblicken: jahrzehntelang in den Vegetarismusstreit verwickelt, den widersprüchlichsten Ansichten von Lehrern und Mitschülern der Münchener FDH-Schule in den Jahren 1955 – 57 ausgesetzt, unzählige nicht vereinbare Meinungen immer wieder lesend – ist er fern von einem Patentrezept. Trotzdem, oder gerade deshalb: Einiges zum Nachdenken, Überdenken, zum Zweifeln oder zum Zustimmen, vielleicht auch zum darüber Lächeln.

II.
Der römische Historiker Publius Cornelius Tacitus, Zeitgenosse des letzten großen Eroberungskaisers Trajan, lebte von ca. 55 – 120 n. Chr. Er war höherer Verwaltungsbeamter und war in guten Verhältnissen. Er lernte andere Länder kennen und vielleicht ist sein bekanntestes Werk jenes über „Germania“ – einer der wichtigsten Einblicke wie es bei uns vor 2000 Jahren war. Lateinschüler werden sich – ebenso wie an Cäsars „De bello gallico“ – mehr oder weniger freudig an diese Lektüre erinnern. Er berichtet über Wesen und kriegerisches Verhalten der Germanen ebenso wie über ihre Bräuche und Lebensweise. („Vieh gibt es reichlich, doch zumeist ist es unansehnlich. Selbst den Rindern fehlt die gewöhnliche Stattlichkeit und der Schmuck der Stirne; die Menge macht den Leuten Freude, und die Herden sind ihr einziger und liebster Besitz.“)

Uns aber interessiert in diesem Zusammenhang sein Kapitel „Trank und Speis“, „Potui humor esse hordeo aut frumento“ – als Getränk dient ein Saft aus Gerste oder Weizen“. Tacitus bemerkt zwar, dass sie durch Gärung ein weinähnliches Getränk herstellen, nannte es aber nicht Bier, weil die Römer es nicht kannten. Met, das wichtigste Rauschgetränk aus Honig, erwähnt er nicht. Wein aus Reben brachten erst die Römer, Obst- und Beerenweine (Most) wurde viel getrunken und Tacitus geißelt, dass die Germanen nach Trinkgelagen untereinander häufig Raufereien hatten (dem Münchener Oktoberfest nicht unähnlich – die Zeiten ändern sich anscheinend nur langsam).

Tacitus wörtlich: „Die Kost ist einfach: wildes Obst, frisches Wildbret oder geronnene Milch. Ohne Gewürze vertreiben sie den Hunger. Dem Durst gegenüber herrscht nicht dieselbe Mäßigung. Wollte man ihnen, ihrer Trunksucht nachgebend, verschaffen soviel sie wollen, so könnte man sie leichter durch ihr Laster als mit Waffen besiegen“. Nun, kein gutes Zeugnis! Und der Zeitzeuge vor 2000 Jahren, aus dem kultivierten Rom kommend, würde staunen, wie sehr die italienischen Pizza- und Spaghettiköche die deutsche Fleischküche reformieren und uns zeigen, dass man auch Gemüse und insalata mista durchaus essen kann. (Nur in Sachen Kartoffeln muss ich doch noch die heutige „germanische“ Küche verteidigen: bei drei „Italienern“, bei denen ich in den letzten Wochen aß (während ich die bayerischen Bilderbuchwirtschaften meide) musste man die Kartoffeln mit dem Messer schneiden. Sie waren einfach zu hart. Da kann ich auch mit dem Gemurmel von „nouvelle cuisine“ und dass der Koch das Gemüse nicht zu sehr verkochen will, nichts anfangen: nicht durchgekochte Kartoffeln schmecken einfach nicht, auch nicht in feinen Restaurants. Da könnten die von meiner alten Mutter etwas lernen, was Kartoffeln in einer einfachsten Küche angehen. Und mit der Ausrede „de gustibus non est disputandum“ geht es immer: zuweilen kann man über Geschmack eben nicht disputieren!

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Anschrift des Verfassers:
Josef Karl
Heilpraktiker
Alpenstr. 25
82377 Penzberg



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Naturheilpraxis 10/2003