Heilen mit Herz und Beifuß

Schamanismus in Nepal

von Christian Rätsch

In dem Königreich Nepal gibt es nach offiziellen Schätzungen oder Erhebungen ca. 700000 Jhankris (MILLER 1997). Von diesen vielen Jhankris, die meist die einzige medizinische Versorgung in den Dörfern bis ins Hochgebirge bieten, sind etwa 7000 recht erfolgreiche Heiler, von diesen wiederum nur etwa 700 „sehr gute“, d.h. „sehr starke“ Jhankris. Das Nepaliwort Jhankri bezeichnet das Schütteln des Körpers in Trance, er ist also ein „Trancer“, der perfekt in die ethnologische Kategorie des Schamanen paßt.

Obwohl es in Nepal etwa 38 ethnische Gruppen und über 70 Sprachen gibt, teilen die Schamanen dieser multiethnischen Gesellschaft ein einheitliches Schamanentum mit einer einheitlichen Kosmologie, Mythologie und Praxis. Deswegen ist es sinnvoll von einem nepalesischen Schamanismus zu sprechen.1

Nepal ist als kulturgeographisch einheitliches Feld aufzufassen. Wenn sich Schamanen unterschiedlicher Ethnien mit eigenen Sprachen treffen, kommunizieren sie in einer der drei Verkehrssprachen des Himalayaraumes, Nepali, Tibetisch oder Englisch, miteinander. Schamanische Informationen werden aber nicht linguistisch kommuniziert, sondern in gemeinsamer Trance. Derartige Treffen können bei den großen interethnischen Schamanentreffen am fast 400 Meter hoch gelegenen Schrein vom Kalinchok oder am 4200 Meter hohen See von Gosainkunda beobachtet werden.

Leben im Mandala

Die Bedeutung des Herzens

Beifuß und andere Schamanenkräuter

Hanf als Heilmittel

...

Anmerkungen
1 Die hier versammelten Aussagen beruhen auf Erkenntnissen bei der gemeinsamen Feldforschung mit Claudia Müller-Ebeling im Verlauf der letzten zwanzig Jahre in Nepal. Vgl. MÜLLER-EBELING et al. 2000. Eine Ethnie weicht in ihrer Form des Schamanismus deutlich ab, das Schamanentum der Magar enthält mehr sibirische Elemente (vgl. OPPITZ 1981 und 1991).
2 Gewöhnlich wird Shiva als Hindugott angesehen. Nach Auffassung der Schamanen ist Shiva aber der Urgott der Schamanen; er ist erst viel später in das hinduistische Pantheon eingegliedert worden.
3 Aber auch die anderen Chakren sind wichtig. Das Bauchchakra ist ein Ozean der Selbstentgrenzung. Das Hals- oder Kehlkopfchakra (ghoakro, kir.) ist der Ort, an dem die Seele oder das Bewußtsein aus dem Körper schlüpft – natürlich in Trance.
4 Der Phurba wird meist als »Geisterdolch« oder »Ritual Dagger« übersetzt. Er besteht aus Horn, Holz, Metall oder Bergkristall (RÄTSCH 1997). Aus dem ursprünglich schamanischen Ritualgerät entwickelte sich später ein tantrisches Ritualobjekt, das vor allem bis heute im tibetischen Vajrayana-Buddhismus eine Rolle spielt (vgl. HUNTINGTON 1975).
5 In der nepalesischen Volksmedizin wird Beifuß bei Durchfall, Verdauungschwäche, Magenschmerzen, Gelenkschmerzen, Wunden, Asthma, Kopfschmerzen, Menstruationsbeschwerden und Würmern verwendet (MANANDHAR 2002: 97).
6 Die kulturelle und ethnobotanische Bedeutung des Hanfs in Nepal ist recht gut dokumentiert: siehe FISHER 1975, SHARMA 1972 und 1977, SINGH et al. 1979, RÄTSCH 1998b und 1999.

Literatur
FISHER, James 1975 „Cannabis in Nepal: An Overview“, in: V. RUBIN (Hg.), Cannabis and Culture, The Hague: Mouton, S. 247–255.
HUNTINGTON, John C. 1975 The Phur-Pa, Tibetan Ritual Daggers, Ascona: Artibus Asiae Publishers (Supplementum XXXIII).
MANANDHAR, N. P. 2002 Plants and People of Nepal, Portland, Oregon: Timber Press.
MILLER, Casper J. 1997 Faith-Healers in the Himalayas (Revised Edition), Delhi: Book Faith India.
MÜLLER-EBELING, Claudia, Christian RÄTSCH und Surendra Bahadur SHAHI 2000 Schamanismus und Tantra in Nepal, Aarau: AT Verlag.
OPPITZ, Michael 1981 Schamanen im Blinden Land: Ein Bilderbuch aus dem Himalaya, Frankfurt/M.: Syndikat.
1991 „Die magische Trommel r~e“, in: Michael KUPER (Hg.), Hungrige Geister und rastlose Seelen: Texte zur Schamanismusforschung, Berlin: Reimer, S. 77–107.
RÄTSCH, Christian 1996a „Einige Räucherstoffe der Tamang“ Jahrbuch für Ethnomedizin und Bewußtseinsforschung 4(1995): 153–161.
1996b „Schamanen in Nepal“ Dao 1/96: 10–12.
1996c Räucherstoffe – Der Atem des Drachen, Aarau: AT Verlag (3., erw. Aufl. 2002).
1997 Die Steine der Schamanen: Kristalle, Fossilien und die Landschaften des Bewußtseins, München: Diederichs.
1998a Enzyklopädie der psychoaktiven Pflanzen, Aarau: AT Verlag.
1998b Hanf als Heilmittel, Aarau: AT Verlag.
1999 „Der Rauch der Schamanen: Über Rauchen und Räuchern in Nepal“, HanfBlatt 6 (51): 8–11.
2000 „Schamanisches Heilen in Nepal“ Ärztezeitschrift für Naturheilverfahren 41 (4): 240–247.
RÄTSCH, Christian und Claudia MÜLLER-EBELING, 2003 Lexikon der Liebesmittel: Pflanzliche, mineralische, tierische und synthetische Aphrodisiaka, Aarau: AT Verlag. Ebenfalls: Stuttgart: Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft.
SHARMA, G. K. 1972 „Cannabis Folklore in the Himalayas“, Botanical Museum Leaflets 25 (7): 203–215.
1977 „Ethnobotany and Its Significance for Cannabis Studies in the Himalayas“, Journal of Psychedelic Drugs 9 (4): 337–339.
SINGH, M. P., S. B. MALLA, S. B. RAJBHANDARI und A. MANANDHAR, 1979 „Medicinal Plants of Nepal – Retrospects and Prospects“, Economic Botany 33 (2): 185–198.

Anschrift des Verfassers:
Dr. Chritian Rätsch
Birckholtzweg 17
22159 Hamburg



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