von Margret Madejsky
„Denn durch die Kunst der Chiromantie, Physiognomie und Magie ist es möglich, gleich von Stund an nach dem äußeren Ansehen eines jeden Krautes und einer jeden Wurzel Eigenschaft und Tugend zu erkennen, an deren Zeichen (Signatis), Gestalt, Form und Farbe und es bedarf sonst keiner Probe oder langen Erfahrung, denn Gott hat am Anfang alle Dinge sorgfältig unterschieden und keinem eine Gestalt und Form wie dem anderen gegeben, sondern jedem eine Schelle angehängt, wie man sagt: „Man erkennt den Narren an der Schelle“. (Paracelsus, Gesammelte Werke, Aschner-Ausgabe Bd. IV S. 339)
In einer Zeit, in der die so genannte "rationale" Phytotherapie auf dem Vormarsch ist und nur durch Laboranalyse, Tierversuche und Doppelblindstudien gesicherte Erkenntnisse gelten lässt, sollte man bedenken, dass es noch einen anderen, viel älteren Weg der Heilpflanzenerkenntnis gibt, der es wert ist, beleuchtet zu werden: die Signaturenlehre. Stark vereinfacht ausgedrückt ist dies eine Arzneilehre, bei der vom Äußeren, bspw. von Farbe oder Form auf das Innere, also auf Wesen und Wirkung geschlossen wird. Die Ähnlichkeit, die beispielsweise eine Blattform mit einem Organ (Beispiel: Lungenkraut Lunge) oder eine Farbe mit einem Körpersaft zeigt (Beispiel: rote Trauben mit Blut), lässt demzufolge auf die zu erwartenden Heilkräfte schließen. Diese Erkenntnismethode scheint auf den ersten Blick sehr simpel und das muss sie auch sein, denn diesen Schlüssel zur Heilkunst haben von den Urzeitmenschen bis hin zu den Bauerndoktoren der Neuzeit stets auch einfache Menschen gebraucht.
Rationalisten tun die Signaturenlehre daher gerne als Aberglauben ab und dies ist bei direkter Übersetzung sogar teilweise richtig, denn der "Aber"Glaube bezeichnet eben den "anderen" Glauben, der einst von den Heiden gepflegt wurde. Verwirrung stiften auch die Lexika, in denen sich Definitionen finden wie etwa „inzwischen überholte, da wissenschaftlichen Kriterien nicht mehr entsprechende Lehre“ (Brockhaus) oder „mystische Arzneilehre“ (Meyers). Dabei wird verdrängt oder vergessen, dass indirekt sogar die moderne Phytopharmakologie von der Signaturenlehre profitiert: Wenn unsere Pflanzenforscher heute in der Regenwald gehen, um "neue" Arzneien zu finden, dann lassen sie sich die Pflanzen üblicherweise von naturkundigen Urwaldeinwohnern zeigen, welche ihrerseits die Kräfte dieser Pflanzen ursprünglich an bestimmten Zeichen erkannt haben.
Mit Hilfe der Signaturen haben sicherlich schon die Neandertaler ihr Pflanzenwissen erworben und das Heilwissen aller Naturvölker, also auch die Kräuterheilkunde der Kelten und Germanen sowie die Indianermedizin, basiert auf deren Signaturkennissen. Nicht zuletzt spielen Signaturen wie Farbe, Form, Geruch oder Geschmack in den Jahrtausende alten Heilsystemen der Chinesen, der Inder und der Tibeter eine Rolle. In unserem Kulturkreis hat die Signaturenlehre, dank Paracelsus, Eingang in die anthroposophische Medizin gefunden, die aus der einfachen Methode der Volksmedizin durch ihre spezielle Betrachtungsweise ein komplexes Denksystem gemacht hat.
Signaturen sind einfach nur "Zeichen" der Natur, die es zu entschlüsseln gilt, also beispielsweise botanische Merkmale wie Dornen oder Signale wie auffällige Gerüche oder Farben. Sie sind wie Spuren, die die Schöpferkräfte in den Pflanzen und natürlich auch in Steinen, bei Tieren oder am Menschen hinterlassen haben. Wer daran zweifelt, dass man die Heilkräfte einer Pflanze von ihrem Äußeren ablesen kann, sollte die Signaturen einmal mit Tierfährten vergleichen, die eben auch nur ein naturkundiger Mensch lesen kann.
Jedenfalls hat die Signaturenlehre bis heute nichts von ihrer Gültigkeit verloren, was nachfolgend am Beispiel der Brennnessel ein wenig veranschaulicht werden soll. Die Brennnessel bietet sich eben deswegen als Beispiel an, weil sie uns bis zur Haustür folgt und wie ein offenes Buch durch ihre Signaturen all ihre Kräfte preisgibt, so dass jeder in der Natur selbst nachlesen kann.
Literatur:
Brunfels, O.: Kreüterbuch 1532, Reprint by Kölbl Verlag München 1964
Gäbler, H.: Das Buch von den heilenden Kräutlein; Goldmann Verlag, München 1977
Höfler, M.: Volksmedizin. Botanik der Germanen, VWB Verlag für Wissenschaft und Bildung, Berlin 1990
Künzle, J.: Chrut und Uchrut; Unterberger Verlagsbuchhandlung, CH-Feldkirch 1935
Madaus, G.: Lehrbuch der biologischen Heilmittel; Mediamed Verlag, Regensburg 1987
Madejsky, M.: Signaturenlehre, Naturheilpraxis 5/98, Pflaum Verlag München
Madejsky, M.: Die Signaturen der Leberheilpflanzen, Naturheilpraxis 2/2002, Pflaum Verlag München
Madejsky, M.: Die Botschaften der Zaunkräuter, Naturheilpraxis 4/2001, Pflaum Verlag München
Marzell, H.: Wörterbuch der deutschen Pflanzennamen, s. Hirzel Verlag, Stuttgart 1979
Pelikan, W.: Heilpflanzenkunde, Philosophisch-anthroposophischer Verlag am Goetheanum, Dornach 1958
Rippe, Madejsky, Amann, Ochsner, Rätsch: Paracelsusmedizin, AT Verlag, CH-Aarau 2001
Selawry, A.: Metall-Funktionstypen, Haug Verlag, Heidelberg 1985
Seligmann, S.: Die magischen Heil- und Schutzmittel aus der belebten Natur, Reimer Verlag, Berlin 1996
Wichtl, M.: Teedrogen, Wissenschaftliche Verlagsgesellschaft, Stuttgart 1989
Anschrift der Verfasserin:
Margret Madejsky
Heilpraktikerin
Stuntzstr. 77
81677 München
Internet: www.natura-naturans.de
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