Blätter für klassische Homöopathie

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Klassische Homöopathie

Mezereum – Seidelbast

von Gerd Aronowski

Wenn der Winter sich im Februar noch von seiner kalten Seite zeigt und die Natur teils schneebedeckt noch zu schlafen scheint, so bereitet sich diese dennoch Jahr für Jahr zur gleichen Zeit mit aller Kraft auf einen neuen Zyklus vor. Es ist fast so, als wolle die Natur uns zu verstehen geben, dass es keine Zeit zu verschenken gibt, die für die Vorbereitung des alljährlichen „Blütenfestes“ notwendig ist, welches sich an den ersten warmen Frühlingstagen jährlich einstellt und uns immer wieder aufs Neue berührt. Doch bevor die Blütenpracht sich in seinem ganzen Umfang durch große Blütenteppiche zeigt, gibt es einige Pflanzenpioniere, die Wochen zuvor ihren neuen Lebenszyklus farbenfroh beginnen. So auch der Seidelbast. Wir finden ihn zumeist an entlegenen Stellen in lichten Wäldern, wo er neben all den tristen Winterfarben mit zahlreichen purpurnen Blüten das baldige Ende das Winters anmahnt.

Mezereum, mit vollem botanischem Namen Daphne mezereum oder der rote Seidelbast genannt, ist ein Strauch der Familie Thymelaeceae, der zumeist nicht größer als 1 m wird. Ich hatte aber auch schon die Gelegenheit überaus beeindruckende wild wachsende Exemplare von über 2 1/2 m zu sehen. Seidelbast liebt kalkhaltigen, feuchten, nährstoffreichen Boden und wächst vorwiegend in den Mittelgebirgen Europas. Wegen seiner Seltenheit steht er unter Naturschutz. Seine nektarreichen Blüten sind begehrte Nahrung für früh ausschwärmende Bienen und Insekten. Nebenbei bemerkt leitet sich der Name Seidelbast vom altdeutschen Wort für Biene – Zidal – ab. Er trägt deshalb auch den Namen Zeidlerbusch (Imkerstrauch).

Seine Pflanzenteile, insbesondere die Rinde und die Samen enthalten giftige Inhaltsstoffe, Daphnetoxin und Mezerin, die auf die meisten Säugetiere bei Verzehr stark toxisch wirken. Schon die Einnahme weniger Beeren kann bei Kindern tödlich wirken. Intoxikationen bei Kleinkindern sind aber wegen des stark bitteren Geschmacks der Beeren selten. Vergiftungssymptome sind: erhöhter Speichelfluss, Erbrechen, Kollaps und Nierenversagen. Kommt die Haut mit dem Pflanzensaft in Berührung, so kann es ähnlich wie bei Cantharis oder Rhus toxicodendron zur Blasenbildung kommen. In der Volksheilkunde wurde der Seidelbast bei entzündlichen und rheumatischen Erkrankungen deshalb als Vesikans eingesetzt. Schon in der Antike finden wir bei Hippokrates, Galen und Dioscorides Hinweise für medizinische Anwendungen.

Die Arznei wurde von Hahnemann, Hering, Groß, Hartlaub, Rückert und anderen geprüft und ist mit 610 Prüfsymptomen in Hahnemanns Chronischen Krankheiten verzeichnet. Im Kentschen Repertorium finden wir 3189, im Complete Repertorium 6513 Einträge dieser Arznei. Trotz der stattlichen Anzahl an bekannt gewordenen Symptomen ist Mezereum eine heutzutage wenig gebrauchte Arznei. Dies war in Zeiten der vorantibiotischen Ära durchaus anders, da der Seidelbast häufig seinen Einsatz bei der homöopathischen Behandlung der Syphilis, insbesondere bei den gefürchteten postsyphilitischen Periost- und Knochenschmerzen fand.

Im Folgenden möchte ich einige Hauptaspekte der Arznei zusammenfassen:

Im Bereich des Gemütes sind leider wenig prägnante Symptome bekannt.

Als ausgesprochen intensiv wird bei Mezereum die Angst, die im Magenbereich empfunden wird, beschrieben. Es besteht Tendenz zur Reizbarkeit, die durch Kleinigkeiten oder auch scheinbar grundlos ausgelöst werden kann. Auf der anderen Seite bestehen aber auch eine Neigung zur depressiven Verstimmung. Traurigkeit und Ängstlichkeit werden nicht selten durch Alleinsein ausgelöst.

Im Bereich des Geisteszustandes besteht die Einbildung sich an Warzen angesteckt zu haben. Dieses Thema spiegelt sich auch in den Träumen wider. Viele Beschwerden, die durch diese Arznei ihre Heilung finden, steigern sich abends und halten die erste Nachthälfte an, um gegen 3 Uhr allmählich wieder abzunehmen. So weist nicht selten Schlaflosigkeit bis 3 Uhr nachts, welche durch Juckreiz, Schmerzen oder andere Beschwerden ausgelöst werden können, auf unser Mittel hin.

Das Mittel hat großen Bezug zu Hautausschlägen in fast jedem Bereich des Körpers, so auch im Bereich des Kopfes. Besonders befallen wird der behaarte Kopf und die Augenbrauen. Die Hautausschläge sondern scharfe, übelriechende, eitrige Flüssigkeit ab und haben die Tendenz dicke Krusten zu bilden und die Haare dabei zu verfilzen – wie Rhus toxicodendron, das neben anderen Arzneien bekannt dafür ist, an den behaarten Körperteilen eine ganz ähnliche Art „haarfressender“ Ausschläge hervorzubringen.

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Literatur:
Allgemeine Homöopathische Zeitung, Bd. 74; Hefte 6 und 7, Leipzig 1867, Hrsg.: Kafka, J.
Allgemeine Homöopathische Zeitung, Bd. 91, Hefte 18 und 19, Leipzig 1875, Hrsg.: Kafka, .J.
Boger, C; Synoptic Key; Ruppichteroth; 2002
Boericke, W., Homöopathische Mittel und ihre Wirkungen, Leer/Ostfriesland 1972
Hahnemann, S., Reine Arzneimittellehre, Band 4, Heidelberg 1995
Hering, C., The guiding symptoms of our materia medica, Vol.7, New Delhi 1995
Jansen, A., Bönninghausens „Abgekürzte Uebersicht der Eigenthümlichkeiten und Hauptwirkungen der homöopathischen Arzneien“, Hamburg 1999
Jahr, G.H.G., Ausführliche Arzneimittellehre, Leipzig 1848, Nachdruck hrsg. v. Bernd von der Lieth, Hamburg
Kents Repertorium, Band 1-3, Heidelberg 1991
Zur Lippe, A., Grundzüge und charakteristische Symptome der homöopathischen Materia Medica, Göttingen 1992
Mezger, J., Gesichtete Homöopathische Arzneimittellehre, Band 2, Heidelberg 1995
Morrison, R., Handbuch der homöopathischen Leitsymptome und Bestätigungssymptome, Groß Wittensee 1997
Phatak, M.B.B.S., Materia Medica of homeopathic Medicines, Bombay 1982

Fotografie: Jürgen Aronowski; Konstanz

Repertorisation erfolgte mit Computersystem ComRep ML
Kent- und Complete-Repertorium Dipl. Ing. F. Simbürger; Eching


Anm.:
I Allgemeine Homöopathische Zeitung, Bd. 91, Heft 18, S. 140f, Hrsg.: Kafka, Dr. J., Leipzig 1875
II Allgemeine Homöopathische Zeitung, Bd. 91, Heft 19, S. 148f, Hrsg.: Kafka, Dr. J., Leipzig 1875




Anschrift des Verfassers:
Gerd Aronowski
Gottfried-von-Herder-Weg 13
78464 Konstanz



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