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Louisas Hände lindern Schmerzen

von Klaus Heimer

Die madagassische Medizinfrau kennt viele Heilpflanzen und ihre Wirkung / Von überall her kommen Patienten

"Aiza Ra-Louisa no mipetraka? – Wo wohnt Louisa?" Diese Frage kann in der Edelsteinmetropole Antsirabe im Hochland der vor der Ostküste Afrikas liegenden Tropeninsel Madagaskar fast jedes Kind ohne langes Nachdenken beantworten. Die 63-Jährige ist über die Grenzen hinaus im ganzen Land bekannt – als Hexe, Zauberin, Wunderheilerin, Hellseherin, Wahrsagerin oder Medizinfrau, je nachdem, wie weit die sehr ausgeprägte Fantasie der hier lebenden Menschen reicht, die schon bei ihr in Behandlung waren oder zumindest von ihr gehört haben.

Ein Schweizer Gastronom, der jährlich mehrere Monate die viertgrößte Insel der Welt per Motorrad erkundet, kann da schon genauere Angaben machen. An schwerem Durchfall leidend, suchte er Marie-Louise Razafindranoro, so ihr bürgerlicher Name, auf, ließ sich untersuchen, erhielt neben grobkörnigem Salz auch etwas Heilwasser und – so berichtet er stolz – "nach wenigen Tagen war wieder alles okay". Besonders erstaunt und beeindruckt habe ihn, das Louisa beim Abtasten eine Störung im Bereich seines Herzens festgestellt hat, unter der er leide und von der sie nichts wissen konnte.

Die Neugier ist geweckt und so geht es per "Pousse-Pousse", einer Art Rikscha, von der in Antsirabe rund 5000 die Personenbeförderung übernehmen, zum etwas abseits gelegenen Backstein-Häuschen der so genannten "Hexe" im Stadtteil Mahafaly. Auf Holzbänkchen warten schon etliche Patienten und die sie begleitenden Angehörigen. Alle Generationen sind vertreten, es herrscht fast eine heilige Stille. Die Tagespolitik wird leise diskutiert oder Wehwehchen werden ausgetauscht. Dann ist es soweit: Ein Patient verlässt mit vielen Dankesbekundungen den maximal zwei Quadratmeter großen Raum. Nur durch die geöffnete Holztüre fällt Tageslicht. An der Stirnseite sitzt Ra-Louisa, den typischen madagassischen Schal um die Schultern geschlungen, erwartet mit klaren, aufmerksam hin und her huschenden Augen den nächsten Besucher. Der nimmt auf einem Stuhl direkt vor ihr Platz und klagt flüsternd der freundlichen Alten sein Leid. Neben ihr steht eine kleine Marienstatue aus Gips, wie sie in vielen Familien zu finden ist. An der gekalkten Wand hängen Kalender verschiedener Jahrgänge eines örtlichen Grossisten. Das Papstporträt ist leicht verrutscht. In der rechten Ecke türmen sich leere Plastikflaschen, Tüten mit getrockneten Blättern und weiteren undefinierbaren pflanzlichen Teilen. Gegenüber steht ein Kanister mit einer rötlichen Flüssigkeit und einem Trichter zum Abfüllen. "Mpitsabo", berichtet ein Patient, ist im Volksmund die genaue "Berufsbezeichnung" für die aus dem Nachbarort Betafo stammende Marie-Louise Razafindranoro, die seit 1979 in Antsirabe wirkt.

Eine Frau hat ihre drei Kinder mitgebracht. Hery, der 18 Monate junge Benjamin, hat Atemprobleme, seine Geschwister leiden unter einer Art Migräne, die häufig bei Kindern anzutreffen ist. Mit ihren kräftigen Fingern tastet Louisa die Körperpartien ab. Sobald sie den Schmerzpunkt gefunden hat, beginnen die Massagen mit kreisförmigen Bewegungen oder sanftem Druck der Fingerkuppen. Schließlich gibt es noch etwas Heilwasser ("Tambavy") mit genauen Dosierungsanweisungen und ein gelbliches Pulver mit Bestandteilen von fünf verschiedenen Pflanzen. Den Preis für die Behandlung können die Patienten gemäß ihrem Einkommen selbst bestimmen. Die meisten geben zwei- oder dreitausend Franc Malagasy – das entspricht etwa 1,5 Euro.

"Ich habe natürlich etwas mehr gegeben, schließlich gelte ich hier als reicher Europäer und wollte nach dem Weggehen nicht noch mit einem Fluch belastet werden", sagt der Schweizer Gastronom Titus nach der Rückkehr schmunzelnd. Der Besuch bei Louisa habe ihn jedoch derart beeindruckt, dass er sich genauestens an ihren Rat gehalten hat. "Sie hat überhaupt nichts Böses oder Unangenehmes an sich."

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Anschrift des Verfassers:
Klaus Heimer
Lot ITZ 34 Ter
Ambatofilokana Itaosy
Antananarivo (102)
Madagaskar
E-Mail: sem@dts.mg



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Naturheilpraxis 10/2002