1990

Die Phytotherapie des Magen-Darm-Trakts an Hand der monografierten Pflanzen

Ein therapeutisches Konzept für die Zukunft

von Josef Karl

I.

Die Heilpflanzenkunde hat eine lange Geschichte: Erste Funde noch heute verwendeter Drogen reichen bis in die Zeit der Pfahlbauten zurück. Wir wissen um die Bedeutung pflanzlicher Mittel aus den Keilschriften der Sumerer im 5. Jt. v. Chr. ebenso wie aus dem Papyrus Ebers (2. Jt. v. Chr. – wo bereits 80 Pflanzen katalogisiert sind. Und wie immer kann man mit dem Satz beginnen: "Schon die alten Griechen..." – ja, fürwahr: Aristoteles und sein Schüler Theophrast ("Vater der Botanik") befassten sich intensiv mit Heilpflanzen. Im 1. Jt. v. Chr. gab schließlich Dioskurides sein ca. 500 Arzneipflanzen umfassendes Standardwerk heraus – Leitfaden für das ganze (deutsche) Mittelalter: Viele haben weit über ein Jahrtausend von ihm abgeschrieben. Aber auch der Leibarzt von Kaiser Marc Aurel, der Römer Galen ("galenische Zubereitungen") sind zu nennen, weit später die Benediktiner in ihren Klostergärten (besonders jener von St. Gallen), die Äbtissin Hildegard von Bingen, die momentan eine Art von Renaissance erlebt.

Der große Paracelsus schließlich, der den "Herbarius" hinterließ (und die Helleboruspflanze gezielt bei prätibialen Ödemen einsetzte) – und an der Schwelle zur sog. Neuzeit steht. Merkwürdigkeiten der Barockmedizin überstehend, fand die Heilpflanzenkunde in S. Kneipp eine Art Wiedererwecker, bis schließlich der französische Arzt Leclerc als der Begründer der modernen Phytotherapie angesehen wird.

Das wohl bedeutendste Buch der Gegenwartsliteratur, Prof. Dr. R. F. Weiss' "Lehrbuch der Phytotherapie" hat dann noch sein besonderes Schicksal – wie dies ja Büchern manchmal zu eigen ist: Fast 40 Jahre dauerte es, bis er von seinen ärztlichen Kollegen wahrgenommen wurde. Bereits 1943 erschien die erste Auflage, 1960 erst die zweite, die noch zwei Jahrzehnte wenig gefragt sein sollte, bis schließlich dann das Buch in rascher Folge seine heutige sechste Auflage erlebte und sein Verfasser wahrlich ein langes Leben haben musste: Er lehrt mit 93 Jahren seit nicht langer Zeit in Tübingen die Phytotherapie!

II.

1978 trat das vom Deutschen Bundestag beschlossene neue Arzneimittelgesetz in Kraft (AMG), das sich ab 1.1.1990 voll auswirken sollte. (Übergangsfristen, weil der Zeitplan nicht funktionierte, mussten gemacht werden.) Das zuständige Ministerium für Jugend, Familie, Frauen und Gesundheit bestellte beim Bundesgesundheitsamt (BGA) in Berlin eine Anzahl von Kommissionen, die alle Arzneien nach den Anforderungen des neuen AMG "aufbereiten" sollten, u. a. drei Kommissionen für "besondere Therapierichtungen": Phytotherapie, Homöopathie und Anthroposophische Medizin (E, D, C). Ich habe dann in dieser Zeitschrift mehrmals darüber berichtet, dass der Gesetzgeber für die Zukunft von jedem Arzneimittel den Wirksamkeits- und Unbedenklichkeitsnachweis ebenso fordert wie die pharmazeutische Qualität. Von jedem Arzneimittel (eben auch Pflanzen) sollte dann eine sog. Monografie erstellt werden, die Auskunft über diese drei Anforderungen gibt, im Bundesanzeiger veröffentlicht, dann amtlichen Charakter hat. Diese Aufbereitung ist in der Kommission E. (phytotherapeutische Therapierichtung) bereits ziemlich weit gediehen, so dass Übersichten gewagt werden können – wenngleich sie noch nicht vollständig sind.

Darum geht es jetzt im folgenden am Beispiel des Magen-Darm-Trakts.

III.

Der Therapeut interessiert sich für andere Einteilungen als der Pharmazeut: letzterer teilt ein nach Inhaltsstoffen, wie man an folgendem Beispiel erkennen kann. Folgende Inhaltsstoffe können für magen-darm-wirksame Pflanzen wirksamkeitsbestimmend sein (die Ziffern in Klammer beziehen sich auf die danach folgende therapiebezogene Klassifizierung):

Bitterstoffe (1, 2)
ätherische Öle (2, 3, 4, 5)
Alkaloide (5)
Anthrachinonglykoside (6)
Schleimstoffe (Muzine) (4, 7)
Gerbstoffe (8)

Nun aber die therapierelevante Einteilung:

1. einfache Bittermittel (Amara simplex)
2. Bittermittel mit äth. Ölen (Amara aromatica)
3. Karminativa
4. Antidyspeptika
5. Antiphlogistika (Antazida)
6. Spasmolytika
7. Laxantien
8. Quellmittel
9. Adstringentien (Gerbstoffmittel)
10. appetitfördernde Mittel (Roborantien)

Es folgen schließlich die sog. Null- bzw. Negativmonografien und eine Liste von Pflanzen, die noch keine Monografie haben.

1. Amara simplex

2. Amara aromatica

3. Karminativa

4. Antidyspeptika

5. Antiphlogistika (Antazida)

...

Josef Karl



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