Naturheilkundliche Psychotherapie

Akupunktur: eine Körperpsychotherapie

Versuch eines Konzeptes zur Arbeit mit Akupunktur und Psychotherapie

von Wolfram Gentz

1. Einleitung

Akupunktur erfreut sich inzwischen auch im Westen eines immer größer werdenden Interesses, wird millionenfach angewendet – nahezu nebenwirkungsfrei und erfolgreich – und dient in der Praxis der Behandlung einer Vielzahl von Erkrankungen. Die WHO empfiehlt die Akupunkturtherapie bereits für eine große Anzahl von Erkrankungen, insbesondere auch für eine Vielzahl von neurologische Erkrankungen.

Es setzt sich auch immer mehr die Einsicht durch, daß Akupunktur – nicht nur als „Schmerzakupunktur“ – , sondern auch bei sogenannten funktionellen Leiden, also Beschwerden, die aus westlich-naturwissenschaftlicher Sicht zu einem wesentlichen Teil als über das vegetative Nervensystem vermittelte psychosomatische Beschwerden angesehen werden, erfolgreich eingesetzt werden kann. Damit positioniert sich die Akupunktur schon vom Ansatz her in der inhaltlichen Nähe der psychotherapeutischen Interventionen:
Denn hartnäckige körperliche Beschwerden ohne organisches Korrelat führen viele Patienten in eine psychotherapeutische Behandlung. Bei günstigem Verlauf bessert sich im Verlauf der Behandlung mit Bearbeitung der zugrundeliegenden psychischen Problematik auch die körperliche Symptomatik. Dies geschieht auch bei reinen Verhaltenstherapien, bei tiefenpsychologisch fundierten Gesprächstherapien und bei Psychoanalysen.

Den offensichtlichen Zusammenhang zwischen psychischer Problematik und funktioneller Beschwerdesymptomatik machen sich aber besonders die Körperpsychotherapien zu Nutze. Als prominentes Beispiel sei hier vor allem die aus der Bioenergetik und der Psychoanalyse hervorgegangene Bioenergetische Analyse genannt, die durch das unmittelbare Eingehen des Therapeuten auf körperliche Haltung, Aktionen und Blockaden des Patienten Heilungsprozesse anzustoßen versucht.

Nach meiner Erfahrung beschränken sich die Einsatzmöglichkeiten der Akupunktur nicht auf psychosomatische Symptomkomplexe, z.B. Somatisierungsstörungen (nach ICD-10), sondern bestehen auch bei psychischen Störungen ohne wesentliche somatische Funktionsstörungen.

Schon die theoretische Beschäftigung mit der Akupunktur, vielmehr aber Selbsterfahrung und die Anwendung in der Praxis vermitteln dem an der Traditionellen Chinesischen Medizin ebenso wie an Psychotherapie intensiv Interessierten und in diesen Bereichen ausgebildeten und erfahrenen Therapeuten rasch die Erfahrung, daß über den differenzierten Einsatz der Akupunktur wesentlich auch seelische Prozesse angestoßen, beeinflußt, reguliert und moduliert werden können.

Zunächst betrifft dies die Akutbehandlung einer nichtpsychotischen psychischen Erkrankung: Mit Akupunktur kann eine Beruhigung, Sedierung und Entspannung im Fall von Angst und Erregung, aber auch bei depressiver Agitiertheit oder Anspannung erreicht werden, oder auch unfruchtbare Grübelneigung durchbrochen oder eine präsuizidale Krise entschärft werden.

Im Verlauf einer Serie von Akupunkturbehandlungen, gerade auch bei auf Langzeit angelegten Behandlungen, gehen die Einsatzmöglichkeiten der Akupunktur weit über eine bloße Behandlung von diesen Symptomen hinaus. Durch das Lösen psycho-somatischer Blockaden können Zugänge zum Unbewußten eröffnet werden, Bearbeitungsmöglichkeiten z. B. traumatisierender Erfahrungen verbessert und die emotionale Bedeutung neurotisch verarbeiteter Erfahrungen neu erfahrbar gemacht werden.

Vorraussetzung für einen solchen Einsatz der Akupunktur ist dabei zunächst die Durchführung einer ausführlichen Anamnese und Untersuchung nach den Grundsätzen der TCM einerseits, nach psychiatrisch-psychotherapeutischen Grundsätzen andererseits, um daraus eine Diagnose nach der TCM einerseits und nach psychotherapeutischen Kriterien andererseits abzuleiten. Nur auf der Basis dieser Diagnose(n) kann verantwortungsvoll eine Akupunkturbehandlung geplant und durchgeführt werden.

In diesem Artikel soll nach einer kurzen Darstellung unverzichtbarer Grundlagen der Traditionellen Chinesischen Medizin (2), zunächst der Weg von der Anamnese und Untersuchung zur Diagnose nach TCM (3) gezeigt werden, wobei natürlich besonderes Augenmerk auf psychische Symptome gerichtet wird. Nach Erklärung der Wertigkeit der Akumoxitherapie im System der TCM, wird an Beispielen der Prozeß der Auswahl der zu behandelnden Leitbahn(en) und Akupunkturpunkte dargestellt (4). Im Anschluß daran werden die allgemeinen Vorraussetzungen für Akupunkturbehandlung von vorwiegend psychischen Erkrankungen erörtert (5). Weiter werden die Behandlungsindikation und die Möglichkeiten der Akupunkturtherapie für die wesentlichen Diagnosegruppen nach ICD-10 dargestellt (6).
Beispielhaft sollen im Anschluß daran Behandlungen akuter Symptome (7) und körperpsychotherapeutische Behandlungsstrategien mit Akupunktur bei häufigen Krankheitsbildern (8) geschildert werden.

Abschließend möchte ich die Grenzen der Akumoxitherapie (9) und ihre Unterstützung durch andere Therapiemethoden der TCM darstellen, aber auch die Grenzen der TCM aufzeigen (10).
Am Schluß werde ich noch einmal die wesentlichen Aspekte bei der Planung und Durchführung einer mit Akumoxi durchgeführten Psychotherapie zusammenfassen (11).

2. Grundsätze der TCM

3. Diagnose durch Befragung, Betastung und Inspektion, Gehör und Geruch

4. Weg von der Diagnose zur Behandlungsstrategie

5. Allgemeines zur praktischen Durchführung einer psychotherapeutischen Akupunktur

6. Behandlungsindikation für die wesentlichen Diagnosegruppen nach ICD-10

7. Behandlung von akuten psychischen Symptomen

8. Allgemeine Behandlungsstrategien

9. Grenzen der Akumoxi-Therapie und Möglichkeiten der „ganzen“ TCM10. Grenzen der TCM bei psychischen Erkrankungen

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Literatur
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Praxisanschrift des Autors:
Dr. med. Wolfram Gentz
Psychiater und Neurologe, Psychotherapie,, Trad. Chin. Medizin, Akupunktur
Landshuter Allee 49
80637 München



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