Blätter für klassische Homöopathie

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Klassische Homöopathie

Versetzt in Angst und Schrecken

von Bernd Dankert

Am 10. März 00 kommt eine junge Mutter mit ihrer vierjährigen Tochter in die Sprechstunde. Ich notiere meine ersten Eindrücke: "Großer Kopf, blonde Locken, strahlend blaue Augen, Schnuller im Mund, schaut mir offen und ohne Scheu in die Augen".

Nun berichtet mir die Mutter folgende Geschichte:
Am 26.Dezember 99 befand sie sich mit ihrer Tochter mit dem Auto auf dem Heimweg. An diesem Tag wurden ganze Landstriche Süddeutschlands von einem schweren Orkan namens Lothar heimgesucht. Bis zum heutigen Tag sind die verheerenden Sturmfolgen an unseren zu großen Teilen verwüsteten Wäldern sichtbar. Diese Fahrt muss für Mutter und Kinder ein Alptraum gewesen sein: Überall abgeknickte, umgestürzte und umstürzende Bäume, Feuerwehr, Polizei und Krankenwagen, ein völlig demoliertes Auto, ein schwerverletzter Mann, der später seinen Verletzungen erlag. Voller Angst und Panik, mit den Nerven am Ende, erreichten beide schließlich ihr Zuhause.

Mir fällt während der eindrücklichen Erzählung der Mutter auf, dass die Tochter äußerlich scheinbar völlig unberührt sich die mütterliche Sonnenbrille aufsetzt und mich fast schon kokett anlächelt.

Seither ist Lisa völlig verändert. Sie weigert sich alleine ins Bett zu gehen, schreit und weint, was sich bis zum Erbrechen steigern kann. Erst wenn sich ein Elternteil zu ihr legt findet sie eng umschlungen in einen oberflächlichen und unruhigen Schlaf. Obwohl mittags müde und quengelig verweigert sie den Mittagsschlaf. Ständig fragt sie ängstlich nach dem "Wind" und in letzter Zeit auch "kommt ein Flugzeug?". Vermutlich hat sie in den Nachrichten von einem Flugzeugabsturz gehört. Verlässt der Vater morgens die Wohnung ruft sie ihm nach: "Pass auf, dass kein Unfall passiert!". Beim Autofahren ermahnt sie die Mutter das Lenkrad mit beiden Händen festzuhalten. Mit Unruhe und Misstrauen reagiert sie auf jeden noch so leichten Windstoß. Sobald sich Blätter und Äste im Wind bewegen bleibt sie wie angewurzelt stehen, schaut wie erstarrt auf die Bäume und fragt: "Kommt der Wind, fallen die Bäume um?" Dabei lässt sie sich nur schwer beruhigen oder ablenken. Seit der Sturmfahrt ist sie reizbar und ungeduldig, verweigert jede Hilfe, schreit und quengelt und verträgt keinen Widerspruch.

Die Mutter erinnert sich, dass Lisa bereits mit eineinhalb Jahren unter Ängsten litt und auch häufig das Wort "Angst" benutzte. Sie vermutet, dass sich ihre eigenen Angstzustände auf die Tochter übertragen hätten. Die Angst krank zu sein, bald sterben zu müssen, Ängste abends vor dem Schlaf verschwanden erst nach Einnahme von Aconitum C200.

Lisa ist manchmal altklug, belehrt dann auch Erwachsene, sie verkleidet sich gerne, mit Vorliebe als Prinzessin und ist sehr verschmust. Gewitter macht ihr Angst, vor allem der Donner. Sie ist mitfühlend und fürsorglich auch fremden Kindern gegenüber. Sie hat ein feines Gespür für die seelische Befindlichkeit anderer Menschen. Die Mutter glaubt auch schon hellseherische Fähigkeiten bei Lisa wahrgenommen zu haben.

Wegen wiederholter pathologischer Herztöne wurde das Kind per Sectio entbunden, die Plazenta war insuffizient.
Lisa ekelt sich vor Milch, trinkt nur Kaltes und mag gerne Saures, wie z.B. Salatsauce.
Bei der körperlichen Untersuchung sind kleine weiche Lymphknoten am Hals tastbar.
Bisherige Therapie: Vor einer Woche 5 Globuli Phosphorus C12 ohne Besserung.
Noch in der Praxis gebe ich dem Mädchen 2 Globuli Opium C200 per os.

6 Wochen später – ich hatte bis dahin weder einen Rückruf noch mein Honorar erhalten – erkundige ich mich telefonisch bei Lisas Mutter nach dem Grund für ihr befremdliches Verhalten. Mein Honorar hätte sie vergessen und ihre Tochter sei wieder wie früher. Einige Tage nach der Einnahme seien die Ängste verschwunden, es sei wieder sehr schön mit ihr.
Ein halbes Jahr später bestätigt mir die Mutter das völlig normale Verhalten ihres Kindes.

Kommentar:

Fazit:

...

Literatur:
– Hering, C., Leitsymptome unserer Materia Medica, Aachen 1997
– Seideneder, A., Mitteldetails der homöopathischen Arzneimittel, Band 3; Ruppichteroth 2000
– Zandvoort, R.v., Complete Repertory; Ruppichteroth 2000

Anschrift des Verfassers:
Bernd Dankert
Pfarrhofstr. 6
88662 Überlingen



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