FACHFORUM

Avena sativa – The Long Way Home

von Klaus Binding

Homöopathisch-spagyrische Betrachtung über den Hafer

Jetzt war es soweit. Jetzt lag er auf der Couch und musste erzählen. Sein Innerstes nach außen kehren. Er tat es nicht gern, aber es musste sein. Er, der liebenswürdige und fürsorgliche Ehemann und Familienvater, der alles tat, um seine Pflichten zu erfüllen. Der seinen Lieben ein Haus baute, für das tägliche Brot sorgte – und für noch weit mehr als das. Nun drohte alles in Scherben zu fallen. Seine Frau verlangte eine Psychotherapie und gab ihm damit eine letzte Chance. Er aber fühlte sich als willenloses Opfer einer unbändigen Kraft, die immer wieder aus ihm hervorbrach. Vielleicht war er ja wirklich ein Quartalssäufer. In unregelmäßigen Abständen verfiel er dem Alkohol. Je mehr er dann trank, desto elender wurde es mit ihm. Mitunter war er nicht mehr Herr seiner selbst und stürzte sich in sexuelle Exzesse. Das meist aber ganz für sich allein. Einsam im Reich des Onan gefangen. Nach solchen Auswüchsen war es besonders schlimm. Manchmal konnte er dann aus Erschöpfung nicht einmal mehr das Bett verlassen. Trotzdem konnte er kaum schlafen. War die Phase vorbei, brauchte er lange, um wieder auf die Beine zu kommen und seine Arbeit wie gewohnt zu erledigen. Als Ehemann und Familienvater. Liebenswürdig und fürsorglich. Wie benommen und benebelt wirkte er tagelang. Nachdem die Situation bereinigt war beliebte er scherzhaft zu sagen: Er habe ihn wieder mal gestochen: der Hafer. Aber niemand fand es mehr lustig.

Die Wirkung des Hafers ist sprichwörtlich. Wen "der Hafer sticht", der kann nicht mehr ruhig auf dem Stuhl sitzen bleiben. Er wird von der Kraft dieses Getreides angetrieben, mitunter mehr, als dass ihm selbst lieb ist. Nicht von ungefähr haben die Anthroposophen den Hafer zum Getreide des Cholerikers erklärt. Nicht nur sie warnen vor zu großen Hafermengen in der Ernährung, um etwaige Hitzköpfe nicht noch mehr anzufeuern.

"To sow wild oats" (wilden Hafer aussähen)

ist in England noch eine gebräuchliche Redewendung für zügelloses Treiben junger Leute. Wer es derart zu bunt trieb wurde in altgermanischen Zeiten mit dem "Haberfeldtreiben" bestraft. In ein Ziegenfell gekleidet trieb man den Angeklagten unter Hohn und Spott über ein Haferfeld. Andererseits dient Hafer geschwächten Menschen als Tonikum, indem er die aufbauenden Kräfte impulsiert, körperliche Kräfte verleiht und die geistige Aufnahmefähigkeit fördert. Die Ambivalenz, die der Hafer als Korn auf dem Teller vermittelt, kennt auch der Heilkundige in der Tinktur aus dem grünen Kraut von Avena sativa. Sie ist dienlich bei Schlaflosigkeit und Erregung, baut gleichzeitig aber auf und stärkt die Konstitution. Was ist wohl Geheimes dran an dieser Pflanze?

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Literatur:
Boericke: Homöopathische Mittel und ihre Wirkungen, Verlag Grundlagen und Praxis.
Bomhardt: Symbolische Materia Medica, Verlag Homöopathie und Symbol.
Broy: Ergänzungsmittel zur Mineralstofftherapie nach Dr. Schüßler, Foitzick-Verlag.
Fritschi: Spagyrik, Lehr- und Arbeitsbuch, Gustav-Fischer-Verlag.
Fritschi: Leitfaden der Spagyrik-Essenzen (Bezug über den Verfasser).
Kellenberger/Kopsche: Mineralstoffe nach Dr. Schüssler, AT-Verlag.
Renzenbrink: Die sieben Getreide, Rudolf-Geering-Verlag.
Schroyens: 1001 kleine Arzneimittel, Hahnemann-Institut.
Schroyens: Synthesis 7, Hahnemann-Institut.
Spagyrische Arzneimittel-Lehre, herausgegeben von Staufen-Pharma.

Fotos: H.J. Fritschi

Anschrift des Verfassers:
Hans-Josef Fritschi
Heilpraktiker
Karl-Bromberger-Str. 5
78183 Hüfingen
Internet: www.spagyranova.de



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