Blätter für klassische Homöopathie

Mitteilungen der Deutschen Gesellschaft für Klassische Homöopathie

Blutendes Schreiknötchen

von Bettina Luck

Während meines Urlaubes erreichte mich über das Telefon am 5.6.01 eine Patientin mit heiserer Stimme. Sie stammte aus meinem früheren Wohnort und war nunmehr akut erkrankt. Es war Dienstag. Seit letztem Samstag, an dem sie bei kühler Witterung eine Radtour unternommen hatte, litt sie an Heiserkeit, die durch reden schlimmer wurde. Es bestanden keine Halsschmerzen oder sonstige Erkältungszeichen, auffallend war jedoch das häufige Bedürfnis zu gähnen. Als ich mit ihr am Telefon sprach, war sie sehr aufgeregt, denn sie kam gerade vom HNO-Arzt, der die Diagnose "blutendes Schreiknötchen" auf den Stimmbändern gestellt hatte. Zunächst wollte der Arzt versuchen, das Schreiknötchen konservativ mit dem Antirheumatikum Diclophenac zu therapieren. Der HNO-Arzt stellte der Patientin in Aussicht, dass bei Versagen der medikamentösen Therapie eine operative Maßnahme notwendig werden würde, die er selbst vornehmen wollte, was kein Problem sei, da er ja über Belegbetten im Krankenhaus verfüge und der Eingriff keine große Sache sei. Meine Patientin war entsetzt über die Aussicht auf eine Operation an den Stimmbändern und sie befürchtete, wenn etwas schiefgehen würde nicht mehr sprechen oder singen zu können. Nun wandte sie sich an mich mit der Aussage:" Sie sind meine letzte Hoffnung".

Leider kann ich mich bis heute nicht ganz von der Wirkung solcher Worte freimachen. Wie anfangs erwähnt befand ich mich im Urlaub, genauer gesagt, ich hatte mich während des Telefongesprächs auf die Marmorstufen des Duomo di Siena niedergelassen. Mein Notebook war zu Hause, der Taschenbuchkent immerhin in der Ferienwohnung. Dabei hatte ich nur das Handy. Ich bat die Patientin, mir eine halbe Stunde Zeit zum Nachdenken zu geben und mich dann noch einmal anzurufen.

Heiserkeit nach kaltem Wind – ich dachte an Belladonna, Aconitum oder Rhus toxicodendron. Das auffallende Gähnen lies mich jedoch all diese Mittel verwerfen, denn dieses Symptom war mir nur von Causticum bekannt. Die Heiserkeit passte dazu, als Causa der kalte Wind, auch das widersprach Causticum nicht. Obwohl ich dieses Mittel bis dahin noch niemals akut gebraucht hatte, kam mir keine bessere Idee.

Ich verordnete die Q6 aus dem 1. Glas. 3 Tropfen waren davon aus der Arzneiflasche in 100 ml Leitungswasser zu geben und 1 mal täglich 1Teelöffel einzunehmen. Nach 3 Tagen sollte sie wieder anrufen. Während meines Urlaubes kam aber kein Anruf mehr und so ließ mich die Patientin mit meinen Gedanken über den Fall erst einmal sitzen.

Wir waren uns im Frühjahr 1998 in einem Yogakurs begegnet, was sie als Wink des Schicksals deutete und sich in meine Behandlung begab. Mit damals 42 Jahren litt sie bereits an klimakterischen Beschwerden, wie Nachtschweißen und Hitzewallungen. Die Zwischenblutungen waren mit Procyclo (Estradiolvalerat) weggeblieben, worüber sie sehr froh war, denn auf Ordnung "in diesen Dingen" legte sie großen Wert. Ihr Haarausfall belastete sie sehr stark. Sie sagte früher habe sie volleres Haar gehabt und sie werde nun schon fast hysterisch, wenn sie ihre ausfallenden Haare im Badezimmer beseitigen müsse. Das schlimmste aber war ihre Reizbarkeit. Niemand konnte es ihr recht machen. Sie spürte bei ihren Familienmitgliedern bereits eine ängstliche Erwartungshaltung, was ihr natürlich große Schuldgefühle bescherte. Sie war damals auch bei einem Psychologen in Behandlung, konnte aber in den wenigen Sitzungen, die bisher stattgefunden hatten fast nur weinen. Auch bei mir weinte sie zwischendurch, fand aber immer schnell wieder in einen beachtlichen Redefluss. Am Ende der fast 4-stündigen Anamnese gestand sie mir noch "krankhaft eifersüchtig" zu sein und die "schlimmsten Befürchtungen" zu haben, wenn ihr Ehemann auch nur wenige Minuten zu spät von der Arbeit kam.
Um eindeutig von Sepia unterscheiden zu können, fragte ich sie nach ihrem sexuellen Verlangen. Sie antwortete, dass es durchaus vorkomme, dass sie ihre wöchentliche Chorprobe sausen lasse wenn sie Lust auf ihren Mann habe, aber doch nicht mehr täglich mit ihm schlafe. Sie seien schließlich seit 20 Jahren verheiratet. Sie bekam Lachesis, was ihr Gemüt sehr beruhigte, sie besser schlafen ließ und trotz Absetzten von Procyclo die Menses bereits im folgenden Zyklus wieder in Ordnung brachte. Aufsteigende Q-Potenzen nahmen ihr auch die Eifersucht und taten ihr so gut, dass sie bei meinem damals anstehenden Umzug meinte, nicht mehr behandlungsbedürftig zu sein.
Sie nahm jetzt seit gut einem Jahr kein homöopathisches Mittel mehr ein.

Am 19.6.01 meldete sich die Patientin wieder und berichtete Folgendes:
Causticum habe sie bereits einen Tag später von ihrem Apotheker bekommen und von da an täglich wie empfohlen eingenommen. Das Antirheumatikum nahm sie gar nicht erst ein, "man weiß ja was das für Hämmer sind" und außerdem hätte sie sonst nicht gewusst, welches Medikament nun geholfen hätte. Am 18.6.01 war sie zur Kontrolle beim HNO-Arzt. Der Befund diesmal: deutliche Verkleinerung des Knötchens, es blutet nicht mehr, die Heiserkeit ist weg.
Trotz des erfreulichen Ausganges würde ich heute vom Schreibtisch aus nicht mehr Causticum, sondern am wahrscheinlichsten Rhus toxicodendron verordnen, welches auch bei Gähnen dreiwertig im Repertorium steht.
(Repertorisation Nr. 1 siehe NATURHEILPRAXIS 11/2001)

Repertorisation erfolgte mit: Complete Repertory und, ComRep-Computersoftware Franz Simbürger, Eching

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Anschrift der Verfasserin:
Bettina Luck
Carl-Thiersch-Straße 2b
91052 Erlangen



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Naturheilpraxis 11/2001